Seit fünfzig Jahren arbeiten das Weltwirtschaftsforum (WEF) und sein Vorsitzender Klaus Schwab daran, die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weltordnung umzukrempeln. Im Grunde geht es darum, Macht und Einfluss einer globalen Elite zu Lasten von Stimmbürgern und Parlamenten zu erhöhen.
Klaus Schwab hat dazu auch ein Lehrbuch oder eine Sektenschrift verfasst: «The Great Reset». Gottlob ist die Zahl der Gläubigen klein geblieben und schrumpft. Der Ruf des Skigebietes von Davos, das dem Forum den Namen gegeben hat, ist immer noch untadelig.
Vertrauen verloren
Klaus Schwab hat dem WEF 2024 eine ganz besondere Zielsetzung vorgegeben: “We must rebuild trust – trust in our future, trust in our capacity to overcome challenges, and most importantly, trust in each other.” «Wir müssen das Vertrauen wiederherstellen – das Vertrauen in unsere Zukunft, das Vertrauen in unsere Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern, und vor allem das Vertrauen in einander». Das ist eine interessante Aussage: “Wiederherstellen” kann man nur, was man einmal besessen und irgendwann verloren hat. So gesehen ist die Aussage erstaunlich ehrlich.
Offen bleibt, wen Klaus Schwab mit dem «wir» und dem «uns» meint. Wahrscheinlich nicht die Leserinnen und Leser dieser Kolumne.
Vertrauen: Trust oder Confidence
Etwas Theorie kann uns helfen, die Aussage von Klaus Schwab besser einzuordnen: Für das deutsche Wort «Vertrauen» gibt es im Englischen zwei unterschiedliche Begriffe: «Trust» und «Confidence».
Trust ist definiert als die Bereitschaft, sich in Erwartung eines positiven Resultates und auf Grund von erwarteten ähnlichen Ansichten gegenüber einem anderen verletzlich zu machen. Trust basiert damit auf dem Glauben in eine Person, einen Repräsentanten.
Confidence gründet auf Erfahrungen und Evidenz. Confidence ist auf eine Art „objektiv“, basiert auf Statistiken, Fakten und Regeln. Man nimmt an, dass gewisse zukünftige Ereignisse so eintreten werden wie erwartet.
Wieso Menschen, die sich nicht zur globalen Elite von Klaus Schwab zählen, ihm und dem WEF Vertrauen schenken sollen, ist nicht nachvollziehbar. Wer macht sich im Sinne von «Trust» schon freiwillig verletzlich im Glauben an Klaus Schwab?
Wer nimmt im Sinne von «Confidence» in Erinnerung an die WEF-Geschichten der Vergangenheit an, die Sache werde sich künftig wie erwartet entwickeln? Dazu eine Anekdote: Wladimir Putin hielt 2009 am WEF in Davos als Stargast und WEF-Partnerdie Eröffnungsrede, Dmitri Medwedew im Jahr 2011. In all den Jahren waren russische Unternehmen wichtige finanzielle Unterstützer des WEF. Am diesjährigen WEF bezeichnete Wolodymyr Selenskyi den russischen Präsidenten als «Raubtier». Russen waren 2024 von der Teilnahme ausgeschlossen.
Fehlinformation und Desinformation
Zum diesjährigen Davoser Treffen publizierte das WEF seinen neuesten Bericht über die globalen Risiken, den Global Risk Report 2024. Darin werden die grössten wahrgenommenen Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft über zwei und zehn Jahre analysiert.
Das Resultat scheint auf den ersten Blick bemerkenswert: Das grösste Risiko für Wirtschaft und Gesellschaft bilden für die nächsten zwei Jahre nicht etwa Klima und Kriege, sondern «Fehlinformationen und Desinformation». Etwas speziell mutet an, dass Fehl- und Desinformation als «technologisches Risiko» bezeichnet wird, und nicht als gesellschaftliches.
Vielleicht will das WEF diese Informationsrisiken mit technischen Mitteln bekämpfen. Klaus Schwab war schon immer besessen von den grenzenlosen Möglichkeiten der Digitalisierung. Heute könnte ihm die Politik der Digitalisierung Chinas als Vorbild dienen. Digitalisierung erschliesst nicht nur neue Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz, sondern auch zur gesellschaftlichen Kontrolle. Und vor allem zur Verhinderung und Bekämpfung von «Fehl- und Desinformation».
Interessant sind die Erläuterungen zum Grossrisiko: Da 2024 fast drei Milliarden Menschen an der Urne ihre Regierungen wählen werden, könnte durch «Fehlinformationen und Desinformation» die Legitimität der neugewählten Regierungen unterminiert werden. Namentlich erwähnt werden neben Bangladesch und Pakistan auch die USA und das Vereinigte Königreich.
Das wirft die Frage auf, wer darüber entscheidet, was wahre Information und was Fehl- und Desinformation ist. Die Antwort des WEF dürfte klar sein: Entscheiden über richtig und falsch tut die selbsternannte Elite rund um Klaus Schwab und sein WEF.
Umfrage innerhalb der Sekte
Die Aussagen des Global Risk Reports 2024 scheinen zwar bemerkenswert, sind es aber nicht wirklich. Man muss nur schauen, wie dieses Ergebnis zustande kam:
Der Bericht basiert auf den kollektiven Erkenntnissen aus der jährlichen WEF-Umfrage bei fast 1500 «weltweit führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Regierung, der internationalen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft».
Das Resultat sagt damit sehr viel aus über das Weltbild der selbsternannten Elite der weltweit führenden Persönlichkeiten, und sehr wenig oder gar nichts über die Risiken der nächsten Jahre für andere Menschen.
Das Ergebnis ist etwa gleich vorhersehbar wie bei einer Umfrage unter Jehovas Zeugen zur Frage, ob der Mann das Oberhaupt der Familie sei und ob sich die Frau ihm unterordnen soll.
Die Zukunft von Davos
Das WEF eröffnete das Treffen in Davos mit folgendem Anspruch: In einer Zeit zunehmender Fragmentierung und Polarisierung diente das Jahrestreffen 2024 des Weltwirtschaftsforums als Plattform für die Förderung von Dialog, Zusammenarbeit und handlungsorientierter Partnerschaft.
Nüchtern betrachtet hat das WEF wohl mehr zur Fragmentierung und Polarisierung der Welt beigetragen als zu deren Überwindung.
Wahrscheinlich ist es Zeit, Davos wieder als wunderbare Landschaft für Skifahrer, Langläuferinnen, Wanderer und alle anderen naturliebenden Menschen zu sehen. Als Treffpunkt der selbsternannten WEF-Eliten scheint die Zeit abgelaufen.