Der Finanzplatz und die Umwelt

Sonderbares tut sich auf dem Finanzplatz Schweiz. Am 1. Oktober lanciert Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) auf dem Finanzportal «Inside Paradeplatz» einen Frontalangriff auf die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg).
Sein Vorwurf: «Banker spielen Gesetzgeber und schalten stumm». Konkret geht es Bigler um zwei neue Richtlinien zu Umweltthemen, zu deren Einhaltung sich die Banken und Finanzdienstleister verpflichten müssen.
Erstaunlich ist daran einiges: Statt, dass die zwei Spitzenverbände der Wirtschaft miteinander sprechen, streiten sie in der Öffentlichkeit auf dem kleinen, aber einflussreichen Finanzportal «Inside Paradeplatz». Offensichtlich ist die Bankiervereinigung auf eine Bitte um Aussprache durch den Gewerbeverbands-Präsidenten nicht eingegangen.
Jörg Gasser, der CEO der SBVg, schreibt in seiner Replik auf «Inside Paradeplatz»: «Bigler kommuniziert oft und gerne über die Medien. Es ginge und geht unter Wirtschaftsverbänden eigentlich auch anders». Und vor zwei Jahren sagte Gasser im Interview mit «Finews» über sich selbst: «Vom Naturell her setze ich mich bei einem Konflikt lieber mit den Betroffenen an einen Tisch und suche nach Lösungen, anstatt den Streit nach aussen zu tragen».
Die Banken und die Energie-Effizienz
Besonders enerviert hat sich Bigler über die «Richtlinien für Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energie-Effizienz» vom Juni 2022. Die Richtlinien verpflichten die Banken unter anderem dazu, im Rahmen der Beratung zur Immobilien-Finanzierung «die Energie-Effizienz des zu finanzierenden Gebäudes zu thematisieren, insbesondere bei älteren Liegenschaften oder solchen mit Sanierungsbedarf. Dabei sollen entsprechende Sanierungsmassnahmen angesprochen und erörtert werden». Das ist keine Empfehlung, sondern ab 2023 eine Pflicht.
Zweifelsohne ist die Energie-Effizienz ein ernsthaftes Thema. Aber als Bauherr würde ich Sanierungsmassnahmen ganz bestimmt nicht mit meinem Bankberater erörtern, sondern mit meinem Architekten. Auch die Gesundheit ist ein ernsthaftes Thema, das ich eher mit dem Arzt als mit dem Bankberater besprechen möchte.
Dass sich der Spitzenverband des Finanzplatzes als Vertreter alles Guten auf Erden sieht, ist doch eher ungewöhnlich. Er sollte die Interessen seiner Mitglieder in der Schweiz vertreten und nicht seine Mitglieder zu Vormündern ihrer Kunden machen.
Sustainable Finance und die Zukunft unseres Planeten
Im Juni dieses Jahres erliess die SBVg eine zweite Weisung an ihre Mitglieder mit dem etwas sperrigen Titel «Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung».
Zur Erläuterung des Begriffs «ESG». Das ist eine Abkürzung für Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien, «Environmental, Social and Governance». Man spricht auch von «Sustainable Finance» für Finanzdienstleistungen, die diesen drei Kriterien gehorchen.
Es geht dabei nicht nur um den Nutzen der Kunden und der Bank, sondern um sehr viel mehr: Die SBVg schreibt auf ihrer Webseite: «Das globale Finanzsystem beeinflusst die Zukunft unseres Planeten. Durch die Steuerung von Finanzflüssen in nachhaltige Aktivitäten (<Sustainable Finance>) hat die Finanzbranche grosses Potenzial, Märkte zu verändern und Wirtschaftssysteme nachhaltig mitzugestalten». Man merke und staune: Es geht um den Planeten. Immerhin, es ist auch noch das Ziel dieser Richtlinien «dadurch den schweizerischen Finanzplatz im In- und Ausland weiter zu stärken». Dieser Satz steht bei jedem Vorschlag für eine zusätzliche Regulierung oder Selbstregulierung.
Es scheint, dass die Bankiervereinigung wirklich an alles denkt, auch an den Planeten. Da zeigt sich ein tiefer Graben gegenüber dem Gewerbeverband, der sich lediglich für die Interessen seiner Mitglieder einsetzt.
Der Zweck der Richtlinien der SBVg ist wie folgt definiert: «[…] innerhalb der Branche einen einheitlichen Minimal-Standard für die Berücksichtigung von ESG-Präferenzen und -Risiken in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung festzulegen». Damit soll auch verhindert werden, dass es gegenüber den Kundinnen und Kunden zu einem Greenwashing kommt.
Banker spielen Gesetzgeber
Die SBVg schreibt in der Präambel zu ihren Sustainable Finance Richtlinien, diese stünden im Sinne der «Leitlinien des Bundesrates (Bericht vom 24. Juni 2020)». Dumm ist nur, dass der Bundesrat keine «Leitlinien» erlassen hat. Der genannte Bericht zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor Schweiz enthält lediglich eine «Auslegeordnung und Positionierung mit Fokus auf Umweltaspekte». Mit seinem Bericht will der Bundesrat unter anderem «allfällige Vorschläge für Massnahmen erörtern». Von Leitlinien ist keine Rede. Biglers Vorwurf «Banker spielen Gesetzgeber» ist durchaus berechtigt. Der Verband legt mit diesen Richtlinien «innerhalb der Branche einen einheitlichen Minimal-Standard für die Berücksichtigung von ESG-Präferenzen und -Risiken in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung fest.» Wer sich den «Gesetzen der SBVg» nicht unterziehen will, muss aus dem Verband austreten.
Die Bank als Umwelt-KESB
Institutionelle Kunden unterstehen den Richtlinien der SBVg nicht, professionelle Kunden können sich von der Anwendung der Richtlinien befreien. Privatkunden können das nicht. Das heisst, die Bankiervereinigung lässt nicht zu, in ESG-Fragen auf die fürsorgliche Betreuung der Kunden durch die Bank zu verzichten. Die Bank wird für Privatkunden zu einer Art Umwelt-KESB. Der Privatkunde kann zwar erklären, dass er in seinen Anlagen keinen Wert auf ESG-kompatible Anlagen legt. Damit kann er die «Angemessenheits- und Eignungsprüfung in Bezug auf ESG-Anlagemöglichkeiten» verkürzen, aber entziehen kann er sich dieser Prozedur nicht.
Die Umwelt ist ein ernsthaftes Thema im Anlagegeschäft. Dass es zu dessen Förderung einer aufwändigen Verbandsregelung bedarf, ist für wirtschaftsliberal Denkende nicht ersichtlich. Wahrscheinlich ist «wirtschaftsliberal» auch nicht das Ziel der Bankiervereinigung. Damit schliesst sich der Kreis des Sonderbaren auf dem Finanzplatz Schweiz.