Der gefeierte Richter

Der junge Zürcher Polizist Peter Mathys erfährt, dass gegen einen angeblich pädophilen Gerichtspräsidenten ermittelt wird. Doch das Verfahren wird eingestellt.
Zürich in den Neunzigern, die Drogenszene am Platzspitz und am Letten boomt, Polizist Peter Mathys ist im Dauereinsatz.
Da hört er eines Tages auf der Hauptwache etwas Brisantes: Gegen einen bekannten Gerichtspräsidenten werde wegen Pädophilie ermittelt. Der Richter, ein intelligenter, begabter Jurist aus einem sehr wohlhabenden Adelsgeschlecht, ein in der Prominenz stets gern gesehener Gast, fahre jeweils über das Wochenende mit dem Schnellzug nach Paris, um dort sexuellen Kontakt mit Jugendlichen einzugehen.
Abenteuer mit Jugendlichen in Pariser Bordellen
Speziell sei, dass der Richter in seinem privaten und beruflichen Umfeld offen zu seiner Neigung stehe, sexuell sich zur «Knabenliebe» hingezogen fühle. Selbst an seinem Arbeitsplatz, bei Gericht, erzähle er von seinen Ausflügen und Erlebnissen in Paris.
Die Bezirksanwaltschaft habe deshalb bereits mit französischen Fahndern geplant, den bekannten Richter quasi in flagranti in Paris zu stellen. Doch wenige Stunden vor dem Zugriff habe die Zürcher Staatsanwaltschaft Wind davon bekommen. Der Oberstaatsanwalt habe dem zuständigen Untersuchungsrichter befohlen, die Aktion sofort abzubrechen und sinngemäss gesagt:
«Sollte sich jemand noch einmal getrauen, nur den kleinen Finger gegen diese Persönlichkeit anzuheben, kann er das Köfferchen packen und gehen!», so Polizist Mathys.

Abbildung 1: Peter Mathys in den 90ern
Der hartnäckige Polizist
Polizist Peter Mathys liess die Sache nie los (die Schweizerzeit berichtete, Interview von Ueli Schlüer). 1995 begegnete Mathys der neu in die Stadtpolizei Zürich eintretenden Polizeioffizierin und Chefin der Sittenpolizei, Oblt S.
Er habe sie auf den Fall angesprochen:
«Sie Frau S., bei uns im Polizeikorps wird überall herumerzählt, dass es sogar Pädophile unter den höchsten Richtern habe.»
Ihre selbst für den jungen Polizisten ganz spontan überraschende Antwort habe sinngemäss gelautet:
«Ja, ich weiss, der Präsident des Zürcher Kassationsgerichts.» Als ehemalige Bezirksanwältin von 1988 bis 1995 habe sie ja auch mit dem Bezirksanwalt zusammengearbeitet, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Gerichtspräsidenten geführt habe.
Mathys habe Oblt S. um Hilfe in der Sache gebeten, was hier passiert sei, könne er mit seinem Gewissen als Polizist nicht akzeptieren. Mathys hörte nie mehr etwas von Oblt S., und ebensowenig von den meisten anderen Verantwortlichen, die er in der Angelegenheit um Hilfe bat.
Alles Lüge
Im Frühling 2015 verstirbt der Zürcher Gerichtspräsident im hohen Alter. Der Richter wird wegen seinen Verdiensten um die Rechtspflege würdigend gelobt. Mathys empfindet das als falsch.
«Der Gerichtspräsident war ein Monster. Ein Pädophiler, der noch in den Neunzigerjahren gern nach Paris reiste, um kleine Buben zu vergewaltigen, die ihm ein mafiös vernetzter Zuhälter zuhielt. Polizist Peter Mathys ist jung, er vertraut Idealen und Werten und er glaubt an den funktionierenden Rechtsstaat. Jetzt ist er zutiefst enttäuscht.» So beschreibt der Tages Anzeiger den Krimi, den Mathys geschrieben hat. Denn um die Ungerechtigkeiten zu verarbeiten, hat Mathys die Geschichte in Form eines Kriminalromans mit dem Titel «Schlimmer Verdacht» veröffentlicht.
Versuchte Wiedergutmachung
Immerhin: Nach Veröffentlichung seines Krimis meldet sich gemäss Mathys eine Art Willensvollstrecker des inzwischen verstorbenen Gerichtspräsidenten. Die Erben des Mannes seien auf den Krimi gestossen und wünschten, den Opfern eine finanzielle Wiedergutmachung zukommen zu lassen.
Aufgrund des abgeklemmten Strafverfahrens seien die Opfer aber unbekannt, eine Wiedergutmachung nicht möglich, bedauert Mathys. Nichtdestotrotz verdiene das Verhalten der Angehörigen in höchstem Masse Respekt und grösste Hochachtung, meint Mathys. Doch erst als Mathys dem Gesamtstadtrat einen Wahrnehmungsbericht schrieb, sei Bewegung in die Sache gekommen.
Zuerst einmal aber sei er, so Mathys, von seinem Polizeikommandanten gehörig zusammengestaucht worden. Dann habe der Kommandant ihm mitgeteilt, dass der Stadtrat das Kommando der Stadtpolizei Zürich beauftragt habe, eine Untersuchung durchzuführen.
Die Akten sind verschwunden!
Der Einwand von Mathys, dass nur eine unabhängige Stelle dafür in Frage käme, bleibt ohne Gehör. Die Untersuchung führt – die oben erwähnte Oblt S.
Mathys sagt heute:
«Weder die Sittenpolizei mit deren Sachbearbeitern bei der verdeckten Fahndung noch die Detektive, die im engeren und weiteren Umfeld des Falles in irgendeiner Form tätig bzw. involviert waren, wurden kontaktiert. Das Ergebnis war entsprechend: Auch nach sorgfältiger Prüfung aller Unterlagen und Fakten seien keine rechtsgenügenden Anhaltspunkte für eine allfällige Begünstigung oder ein unkorrektes Ermittlungsverfahren zu finden gewesen, hiess es.»
Und später seien sogar sämtliche Akten verschwunden: Nicht einmal eine Einstellungsverfügung habe in den Archiven gefunden werden können.
Nur die Spitze des Eisbergs?
Bei der Kinderschutzgruppe der ersten Stunde habe bei der Bestandsaufnahme festgestellt werden können, dass bei der Bezirksanwaltschaft ein ganzer Stapel von Pädophilenfällen bis zur Verjährung unerledigt geblieben sei, meint Mathys.
Gegen den Staatsanwalt, der das strafrechtlich laufende Ermittlungsverfahren gegen den Gerichtspräsidentenfall gestoppt habe, seien später selber Ermittlungen wegen strafrechtlich relevanter Pädophilie geführt worden. Und der im Fall involvierte Sachbearbeiter bei der Sittenpolizei, Fw Ruedi Urben, sei derart im Stich gelassen und gemobbt worden, bis dieser einen ganz schlimmen körperlichen und seelisch Zusammenbruch erlitten habe.
«Da sind in der Hierarchie ganz schlimme Fehler begangen worden. Hier sind einige Straftatbestände zusammengekommen», findet Mathys.
Die involvierten Stellen sehen den Sachverhalt so: Gemäss den verschiedenen Untersuchungen lagen beim besagten Richter keine Belege für strafbares Verhalten vor, ein Zugriff oder ähnliches in Frankreich gab es ebenfalls nicht. Ein Strafverfahren wurde daher gar nicht erst eröffnet. Es gab auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der zuständige Staatsanwalt oder andere Personen irgendwie strafbar gemacht oder dass diese ihre Arbeit nicht korrekt ausgeführt hätten.
Kritik an Pädophilie bald strafbar?
Was auch immer an der – von offizieller Seite glaubhaft widerlegten – Geschichte dran ist, sie hat doch eine gewisse Brisanz, wenn es pädophile Richter gäbe. Denn mit der Ausweitung der Antirassismusstrafnorm, über die am 9. Februar 2020 abgestimmt wird, soll auch bestraft werden, wer «eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen (…) ihrer sexuellen Orientierung (…) diskriminiert (…).
Teile der Fachwelt bezeichnen auch Pädophilie als sexuelle Orientierung (die Schweizerzeit berichtete). Pädophilenfreundliche Personen und Betroffene arbeiten darauf hin; wenn sie Erfolg haben, könnte – z.B. mit Hilfe eines pädophilen Richters – Kritik an Pädophilie plötzlich mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Wer also inskünftig Pädophilie kritisiert, kann nicht wirklich sicher sein, ob gegen ihn nicht ein Strafverfahren eingeleitet wird.
Hermann Lei
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