Mit «Fake News aus Herrliberg» betitelte der Tages-Anzeiger den Kommentar eines seiner EU-Spezialisten zum grossen Interview, das Christoph Blocher der «Sonntags-Zeitung» am 14. Januar 2024 gewährt hat.
Christoph Blocher kritisierte in diesem Interview mit deutlichen Worten, dass das sog. «Common Understanding» den hiesigen Parlamentskommissionen lediglich in englischer Sprache vorgelegt werde. Eine offizielle deutsche Übersetzung fehle. Im Common Understanding legt Brüssel einseitig, aber verbindlich fest, wie zwischen Brüssel und der Schweiz getroffene Vereinbarungen anzuwenden und umzusetzen sind.
Ab Beginn unterwürfig
Offensichtlich haben die Schweizer Unterhändler – allenfalls von Bundesrat Ignazio Cassis’ Aussendepartement so angewiesen – unterlassen zu verlangen, dass Ausgehandeltes von Anfang an in den Sprachen beider Verhandlungsparteien schriftlich festgehalten werde. Schon mit diesem Verzicht auf Gleichwertigkeit beider Verhandlungssprachen und beider Verhandlungsparteien zeigt sich, wie unterwürfig das Departement Cassis die Sondierungen für Verhandlungen mit Brüssel von allem Anfang an angepackt hat – sich allen noch so herrischen Vorgaben aus Brüssel untertänigst unterwerfend.
Und der Kommentator des Tages-Anzeigers nimmt sich heraus, die Aussage Blochers als «Fake News», als Unwahrheit, als Lüge abzukanzeln, weil dieser das Fehlen einer offiziellen, beidseits aus Anerkennung der Gleichwertigkeit beider Verhandlungspartner resultierenden Übersetzung des Common Understanding in die Schweizer Landessprachen scharf bemängelt hat.
Natürlich liegt ein formelles Verbot der Übersetzung dieses Common Understanding nicht vor. Und selbstverständlich darf sich jedermann, auch die Schweizer Bundeskanzlei zu Bern im Übersetzen dieses kompliziert formulierten Common Understanding nach eigenem Gutdünken versuchen und es so auch den Mitgliedern der Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte in deutscher und französischer Fassung vorlegen.
Nur: Für Brüssel ist solche Übersetzung bloss Makulatur, in keiner Art und Weise verbindlich. Was in solcher Übersetzung steht, ist für Brüssel in keinerlei Hinsicht gültig. Brüssel überlässt zwar jedem Hobby-Übersetzer gerne das Recht, sich mit der Brüsseler Funktionärssprache in englischer Version herumzuschlagen und abzumühen. Nur ist das, was dabei herausschaut, für Brüssel nicht verbindlich.
Brüssel diktiert
Funktionärssprache ist komplizierte, auch Sprachkundige rasch überfordernde Sprache. Verhandlungsergebnisse in Funktionärs- oder Diplomatensprache sind immer vieldeutig. Im Common Understanding präzisiert Brüssel indessen, wie mit den in den Sondierungen erzielten Vereinbarungen umzugehen ist. Verbindlich und allein gültig.
Die Schweizer Unterhändler waren nicht zugelassen, als EU-Funktionäre das Common Understanding formulierten. Bundesbern konnte kein einziges Wort dazu beitragen. Das Common Understanding ist reines Diktat Brüssels. Und Brüssel nimmt sich das Recht heraus, ganz allein zu bestimmen, wie mit den Sondierungsergebnissen umzugehen ist, wie auch die Schweiz zwingend damit umzugehen hat. Brüssel ist alleiniger, diktatorischer Befehlsgeber. Die Schweiz hat zu kuschen – ohne zu murren.
Befehlshaber und Untertane
Wissen die EU-Spezialisten im Hause Tages-Anzeiger tatsächlich nicht, wie offizielle Übersetzungen entstehen? Wissen sie nicht, dass sich allein Brüssel das Recht herausnimmt, die gültige Übersetzung ein- für allemal festzulegen, was immer Übersetzer zu Bundesbern dazu meinen? Und zum Common Understanding eine gültige Übersetzung wenigstens zu liefern: Dazu hat sich Brüssel bis heute nicht hergegeben.
Dass das Departement Cassis – möglicherweise mit einer Bundesratsmehrheit im Rücken – offensichtlich nie auch nur versucht hat, von Brüssel als gleichwertiger Verhandlungspartner akzeptiert zu werden – das ist die Tatsache, welche Schweizerinnen und Schweizer zutiefst beunruhigen muss.
Fake News verbreitet bloss der, der das so aus den Sondierungen zustande gekommene Ergebnis als Vorstufe zu einem «bilateralen Vertrag» bezeichnet. Bilaterale Verträge entstehen nur, wenn Gleichwertige auf gleicher Augenhöhe miteinander verhandeln, wenn das Geben und das Nehmen aus gleichberechtigter, gleichgewichtiger Verhandlung resultiert. Wenn – wie mit dem Common Understanding Tatsache wird – die eine Seite allein befiehlt, wie Verhandeltes auszulegen und zu interpretieren sei, der Partner vor der einseitigen Erklärung bloss kuschen darf – dann hat solches «Verhandlungsergebnis» rein gar nichts mit bilateraler Aushandlung zu tun. So fertigt ein diktatorischer Allesbefehler einen unterwürfigen Bittsteller ab.
Was als Common Understanding vorliegt, ist ein Kapitulations-, ein Ausverkaufspapier. Aber ganz gewiss nicht die Vorstufe zu einem bilateralen Vertrag.
Wissenslücke oder Täuschungsmanöver?
Ob diese Fakten den Tages-Anzeiger-Spezialisten für EU-Fragen tatsächlich fremd sind? Oder ob sie sich bereits derart in der Rolle blindeifriger Zudiener Brüssels fühlen, dass sie die Fakten zur Verhandlungstechnik Brüssels ihren Lesern schlicht und einfach glauben unterschlagen zu müssen?
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Wer die Entlarvung der Brüsseler Herrschsucht bezüglich sprachlicher Ausgestaltung von Vereinbartem als Fake News apostrophiert, zeigt in erster Linie, wie dick das Brett bereits ist, das die Brüssel verfallenen TA-Korrespondenten vor ihrer Stirne tragen.