Das Wort «souverän» bezeichnet vorab die Eigenschaft, selber zu bestimmen, worüber ich selber entscheiden will. Dass wir das tun können, macht uns zu Souveränen. Ein Staat ist dann mehr oder weniger souverän, wenn er auf einem bestimmten Territorium die Hoheitsrechte ausübt. Das heutige Staats- und Völkerrecht versteht unter Souveränität die höchste selbständige, nicht abgeleitete Staatsgewalt. Verwandte Begriffe zu «souverän» sind unabhängig, eigenständig, autonom oder eigenverantwortlich.
Auch wenn das Wort noch unbekannt war, ist die Substanz der Souveränität schon angelegt im 730-jährigen Bundesbrief von Anfang August 1291. Der Zweck des Bundes der frühesten Eid-genossen bestand nämlich darin, angesichts der Arglist der Zeit einander Bei-stand und Schutz von Leib und Gut gegen Gewalt und Unrecht zu leisten. Und dann heisst es wörtlich:
«Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter annehmen sollen, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldes-wert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landsmann ist.» Mit andern Worten: Wir entscheiden selber über unser Geschick.
Städte des schweizerischen Mittellandes wie Luzern, Zürich, Bern, Solothurn, Freiburg, Basel oder Schaffhausen, die später gleichberechtigt zu den ländlichen eidgenössischen Orten stiessen, genossen eine gewisse Souveränität durch ihre Reichsunmittelbarkeit. Das heisst: Abgesehen vom römisch-deutschen Kaiser unterstanden sie keinem Fürsten – nur darum konnten sie überhaupt eidgenössisch werden. Die eidgenössischen Orte genossen Selbstverwaltung und konnten ihre Bürgermeister, Schultheissen, Landammänner und Ratsherren selber wählen.
Von der faktischen …
Im 15. Jahrhundert wuchs der Gegensatz zwischen den Eidgenossen und dem Reich. Denn die Schweizer pflegten eine republikanische (nicht-monarchistische) Selbstregierung, was sie den aufstrebenden Fürsten und dem Adel im Reich entfremden musste. Der habsburgische Kaiser Maximilian I. wollte die Schweiz wieder enger ans Reich führen. Doch die Eidgenossen wollten nicht. Sie sagten das, was Bundesrat Ueli Maurer zuweilen auch sagt: «Kä Luscht!». Der für die Eidgenossen siegreiche Schwabenkrieg von 1499 führte zur faktischen Loslösung der Schweiz vom Reich.
… zur vollständigen Loslösung vom Reich
Wegen einem umstrittenen Urteil des Reichskammergerichts reiste der Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein 1647/48 nach dem Dreissigjährigen Krieg an die Westfälischen Friedensverhandlungen und forderte, «eine Lobliche Eidgenossenschaft bey ihrem freyen, souverainen Stand» zu belassen. Er er-reichte schliesslich nach zähen Verhandlungen die vollständige Loslösung der Schweiz vom römisch-deutschen Reich und hielt fest:
«Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.»
Souveränität als «Ausübung des Allgemeinwillens»
Die Aufklärer, insbesondere Jean-Jacques Rousseau, sahen die Souveränität nicht mehr von Monarchen und Aristokratien ausgehend, sondern einzig und allein vom Volk. Rousseau war überzeugt, «dass Souveränität nichts anderes als die Ausübung des Allgemeinwillens ist». Jedes Gesetz, welches das Volk nicht selber beschlossen habe, sei nichtig.
Als Preussen, Österreich und Frankreich der Schweiz 1848 die Gründung eines Bundesstaates verbieten wollten, antwortete der spätere erste Bundespräsident Jonas Furrer: «Die unabhängige Schweiz wird sich weiterhin selber regieren.» Sie sei selbstbestimmt und neutral. Wie sie ihre inneren Angelegenheiten regle – so Furrer wörtlich – «kann nicht Sache anderer Staaten sein».
Obwohl die Volkssouveränität hierzulande seit Jahr-hunderten breit akzeptiert, ja selbstverständlich ist, hat keine Bundesverfassung sie schriftlich fest-gehalten. Dennoch hat sich die Idee der Volkssouveränität in der Ausprägung der direkten Demokratie auf den Stufen Bund, Kantone und Gemeinden als eine schweizerische Spezialität herausgebildet. Sie bestimmt das politische Selbstverständnis unseres Landes und bildet einen weltweiten Sonderfall. Ein Schweizer kann in einem einzigen Jahr mehr abstimmen und wählen, als ein Deutscher, Franzose oder Engländer in seinem ganzen Leben.
Souveränität und Neutralität
Ihr souveräner Status ermöglichte der Schweiz, im Ersten Weltkrieg neutral zu bleiben. Sie verstand sich in diesem europäischen Weltenbrand als Friedensinsel und versuchte, ihr bevorzugtes Schicksal durch gute internationale Dienste und humanitäre Tätigkeiten wettzumachen.
Angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus und den Faschismus rettete die Souveränität gegenüber der übrigen Staatengemeinschaft das Über-leben unseres Landes unter Aufrechterhaltung von Frieden, Rechtsstaat und Demokratie. Weil Hitler in den dreissiger Jahren Regierungschefs zu sich zitierte, um sie einzuschüchtern, erklärte Bundesrat Her-mann Obrecht nach dem Anschluss von Österreich und der Auflösung der Tschechoslowakei im März 1939 in einer mutigen Souveränitätserklärung:
Völkerrecht und Internationalisierung
1939 bis 1945 überstand die schweizerische Souveränität – nachdrücklich geschützt durch die Armee und die wirtschaftliche Landesversorgung – ihre grösste Gefährdung. Nach den Schrecken des Krieges setzten die Sieger vermehrt auf das Völkerrecht und die Internationalisierung. Im Zeitalter der Globalisierung müsse die staatliche Souveränität geteilt und gemeinsam wahrgenommen werden, hiess jetzt die Devise.
Die EU- und weltweit massgebenden politischen Mass-nahmen zielen heute auf die Schaffung von Grossräumen ab, welche die globalisierte Verflechtung fördern. Dabei werden nationale Institutionen und Praktiken wie die Souveränität, die das Globalisierungsziel be-hindern, rücksichtslos beseitigt. Wichtige politische Entscheidungsbefugnisse des Nationalstaates werden an internationale Organisationen übertragen wie die Uno, die OECD, den Weltklimarat, das GATT oder die Weltbank, ja selbst an NGOs.
Entnationalisierung bedeutet Entpolitisierung
Die grösste Gefahr sehe ich im Prozess der zunehmen-den Verrechtlichung von Fragen, die bislang politisch entschieden wurden. Wie erleben neben der Entnationalisierung auch eine Entpolitisierung. Damit lassen sich unbequeme und störende, weil unabwägbare Entscheide der jeweiligen nationalen Bevölkerung eindämmen und sogar ausschalten. Diese Verrechtlichung des Politischen besteht beispielsweise, indem die Gerichte – auch unsere schweizerischen Gerichte – alles und jedes zum unverhandelbaren Völker- und Menschen-recht erklären. Damit beseitigen sie die demokratische Willensäusserung des obersten Verfassungsorgans, nämlich des Volkes und damit des Souveräns.
Die Nichtumsetzung von Volksentscheiden in den letzten Jahren oder auch die ernsthafte, über Jahre erwogene Unterzeichnung eines EU-Rahmenvertrags durch den Bundesrat sollten uns Bürger in Alarmbereitschaft versetzen. Weder internationale Funktionäre noch Experten, weder Diplomaten noch Richter dürfen sich Souveränitätsrechte anmassen, die laut Gesetz und Verfassung uns Bürgern vorbehalten sind.
Die Bürger als Träger der Souveränität
Der souveräne Staat – so meinen gewisse Staatsanbeter – habe den Auftrag, den ständig fortschreiten-den Wohlstand für alle sicherzustellen. Wir hingegen denken an eine möglichst durch private Verträge wettbewerblich organisierte Gemeinschaft, wobei jeder und jede Einzelne Träger der Souveränität ist. Nicht der Staat ist die letzte und höchste Instanz – es sind die Bürger.