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Hillbilly Elegie

Neue Impulsgeber pflügen linkes Unterholz zu rechter Scholle um

Die «Schweizerzeit» setzt bei ihren Buchempfehlungen den Bestseller von J. D. Vance an die erste Stelle. Das Buch heisst «Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise». Es wurde 2016 veröffentlicht, der Autor war damals 32 Jahre alt und weitgehend unbekannt.

Heute ist er im Alter von 41 Jahren einer der jüngsten Vizepräsidenten in der Geschichte der USA.

Zwei gute Gründe, das Buch zu lesen

Es gibt zwei gute Gründe, das dreihundertseitige Buch von J. D. Vance zu lesen:

Erstens: Die Elegie, ursprünglich eine Gedichtform, ist heute ein literarisches Werk, das sich mit Themen wie Verlust, Sehnsucht und Vergänglichkeit beschäftigt. J. D. Vance hat die ersten 32 Jahre seiner Lebensgeschichte sehr persönlich, gnadenlos ehrlich, mit viel Herzblut und Selbstkritik geschrieben. Er bezeichnet sich als «eines dieser Kinder mit einer trostlosen Zukunft», und er beschreibt eine amerikanische Gesellschaft in der Krise, von der wir hier meist nur wenig oder gar nichts hören.

Zweitens: Vance ist heute als Vizepräsident der USA eine der mächtigsten Personen der politischen Welt. Donald Trump hat ihn vor weniger als einem Jahr als seinen Vizepräsidentschaftskandidaten für die Präsidentschaftswahlen ausgewählt. In die Politik eingestiegen ist J. D. Vance erst anfangs 2023, als er für den Bundesstaat Ohio in den Senat gewählt wurde.

Donald Trump ist kein Baumeister, sondern ein Abbrecher. J. D. Vance, vielleicht dereinst sein Nachfolger, könnte der Baumeister einer neuen Ordnung in den USA sein. Wer seine Geschichte kennt, kann vielleicht erahnen, wie diese Ordnung aussehen könnte. Sicher ist das nicht. Seine Geschichte der trostlosen Kindheit und Jugend enthält keine politische Botschaft.

Donald Trump, die Abrissbirne

Donald Trump ist, wie bereits erwähnt, kein Baumeister, er ist eine Abrissbirne.In den ersten hundert Tagen seiner zweiten Amtszeit hat er die geltende Ordnung durcheinandergebracht. Er hat sich an fast allen Fronten als Zerstörer oder Abbrecher versucht: Bei den Gerichten, bei führenden Universitäten, bei vielen Medien, einem Grossteil der Rechtsberufe –und vor allem in den Märkten für Staatsanleihen, Aktien und Devisen. Er hat sich angelegt mit China, der zweitmächtigsten Volkswirtschaft und geopolitischen Kraft der Welt, und gleichzeitig mit dem eigenen Bündnissystem und der globalen Wirtschaftsordnung. Nicht alles ist falsch, was er angezettelt hat. Aber alles gleichzeitig und ohne sichtbare neue Ordnung vor Augen ist schon sehr speziell. Präsident Trump befindet sich zurzeit in einer Phase planloser Improvisation.

Sein Talent als Abrissbirne hat er schon in seiner Laufbahn als Unternehmer bewiesen: Trump veröffentlichte seine geschäftlichen Ratschläge 1987 in seinem Buch «The Art of the Deal». Vier Jahre später erlitt er mit dem Trump Taj Mahal Casino in Atlantic City Konkurs, und dies ein Jahr nach der Eröffnung und mit rund drei Milliarden Dollar Schulden. Es folgten innert weniger Jahre fünf weitere Konkurse, der nächste bereits ein Jahr nach dem ersten Absturz, wiederum in Atlantic City (Trump Plaza Hotel and Casino).

J. D. Vance – Baumeister einer neuen Ordnung?

Drei Monate nach seinem Amtsantritt als Vizepräsident ist kaum abzusehen, wie sich J. D. Vance politisch entwickeln wird. Aber sichtbar ist er wie kaum je ein Vizepräsident in den ersten hundert Tagen, vor allem auf dem internationalen Parkett.

J. D. Vance ist aufgrund der geschilderten Kindheit und Jugend ein ganz anderer Mensch als sein Präsident Trump. Das beginnt schon mit seinem Namen: Geboren wurde er als James Donald Bowman, dem Familiennamen seines leiblichen Vaters. Nach der Adoption durch den dritten Ehemann seiner Mutter änderte sich sein Name zu James David Hamel. Schliesslich nahm er den Namen seiner Grosseltern mütterlicherseits an und wurde zu James David Vance, oder eben einfach J. D.

Ein traditioneller Anhänger von Donald Trump ist J. D. Vance nicht. Noch 2016 bezeichnete er Trump als «Idiot» und «moralisches Desaster».

Gemäss seiner Hillbilly-Elegie stehen für ihn folgende Werte im Zentrum: Geborgenheit, ein Zuhause zu haben. Das hatte er bei seinen Grosseltern, vor allem bei seiner Grossmutter gefunden. Ihnen hat er seine Elegie gewidmet. Die Grosseltern verkörpern für ihn traditionelle Tugenden: Altmodisch, mit stillem Gottvertrauen, selbstverantwortlich, fleissig. Er macht sich in seinem Buch stark für Loyalität, Ehre, Zähigkeit. Er schildert sich als Kämpfer, seine Grossmutter ist ihm hierfür Vorbild. Mit ihr teilte er die Liebe zum Film «Terminator 2» mit Arnold Schwarzenegger. Für J. D. Vance war der Film «eine Art Metapher meines eigenen Lebens». Er will hart arbeiten, «einfach so durchs Leben zu driften, bedeutete, sein gottgegebenes Talent zu verschwenden».

Hart ins Gericht geht er mit dem amerikanischen Schul- und Bildungssystem. Prägend am Ende der Jugendzeit war für J. D. Vance der vierjährige Militärdienst beim Marine Corps, der ihm anschliessend auch den Weg an die Spitzenuniversität Yale University öffnete. Aus seiner Zeit im Marine Corps schildert er, «dass ich zum ersten Mal erwachsenen Männern sagte, was sie zu tun hatten, und sah, wie sie mir gehorchten; dass ich lernte, dass Führungskraft zu sein mehr damit zu tun hat, den Respekt der Untergebenen zu verdienen, als sie herumzukommandieren».

Wie weiter mit den USA?

Amerika hat mit Donald Trump nicht nur einen Präsidenten gewählt, sondern mit J. D. Vance auch einen Vizepräsidenten. Vance ist nicht einfach ein von Trump bestimmtes Regierungsmitglied, sondern ein vom Volk gewähltes. Sein Lebenslauf zeichnet das Bild eines konservativen und patriotischen Politikers und Familienmenschen. Seine verehrte Grossmutter «hatte immer zwei Götter: Jesus Christus und die Vereinigten Staaten von Amerika». 2019, nach der Publikation seiner Elegie und vor seinem Einstieg in die Politik, ist J. D. Vance der katholischen Kirche beigetreten.

Niemand weiss, wie es mit den USA unter Präsident Trump weitergehen wird. Vielleicht war die Wahl seines Vizepräsidenten die beste Entscheidung seiner zweiten Amtszeit. Und vielleicht auch nicht. Die Lektüre «Hillbilly Elegie» lohnt sich in beiden Fällen.

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Publiziert von Hans Geiger

Hans Geiger ist em. Professor für Bankwesen, wohnhaft in Weiningen ZH.

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2 Kommentare

  1. Da frage ich mich schon ernsthaft wie Donald Trump einen J.D. Vance ais Vice Präsidenten der USA berufen kann mit dieser Einstellung, da ist doch etwas faul in Dänemark? Glaubt man dem unbeliebten Trump die Segel aus dem Wind zu nehmen mit Fakes?

  2. J.D. Vance hat in seiner Kindheit und Adoleszenz tief in alle gesellschaftlichen Abgründe gesehen. Er hat als Heranwachsender auch den industriellen Niedergang der USA durch die Verlegung der wertschöpfenden Arbeitsplätze in Billiglohnländer hautnah miterlebt. Damit einhergegangen ist der Zerfall der gesellschaftlichen Mittelschicht.
    Das Zurückbringen solcher Arbeitsplätze ist vermutlich ein Hauptgrund für seine Mitarbeit in der Regierung. Die USA sind leider ein Lehrbeispiel dafür, wie sich kurzfristige Gewinnmaximierungen Einzelner zum Schaden ganzer Gesellschaftsschichten auswirken können.

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