Jolanda liefert für tausend Franken die Daten

Unrechtmässige Kooperation mit dem Soziologischen Institut
Die Universität Zürich hat einem privaten Verein Fr. 1’000 für eine mutmasslich illegale Datenlieferung über Online-Kommentatoren bezahlt. Die Frage ist: Wird das anrüchige Geld nun zurückgefordert?
Jolanda Spiess-Hegglin, Protagonistin der «Zuger Sex-Affäre», hat mit ihrem Verein NetzCourage gemäss eigener Aussage letztes Jahr 180 Strafanträge gegen «Hatespeech» geschrieben, fünfzig Verurteilungen erwirkt und achtzig aussergerichtliche Vergleiche ausgehandelt. Ziel des Vereins ist es gemäss Homepage, «ohne Hemmungen mit dem Finger auf Unrecht, Gesetzeslücken und politische Unzulänglichkeiten zu zeigen». Spiess-Hegglin rühmt sich damit, sie werde «von zahlreichen staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen unterstützt.»
87’170 Franken für «Online-Aggression»
Dazu gehört auch das Soziologische Institut der Universität Zürich. Dieses Institut hat beim Schweizerischen Nationalfonds für eine Studie über «Online-Aggression» 87’170 Franken bewilligt erhalten. Davon erhielt der Verein von Spiess-Hegglin tausend Franken für die Aushändigung von Daten über Personen, mit welchen eine Auseinandersetzung hängig gewesen war. Für diesen Betrag lieferte NetzCourage ohne vorgängige Bekanntgabe an die weit über dreissig Betroffenen vertrauliche Daten ans Soziologie-Messer. Mitte 2019 erhielten so zahlreiche Personen, die u. a. vom Verein NetzCourage angezeigt worden waren, Post vom Soziologischen Institut der Universität Zürich.
«Vom Verein NetzCourage zur Verfügung gestellt»
«Ihre Kontaktinformationen wurden uns auf Anfrage hin vom Verein NetzCourage zur Verfügung gestellt, genauso wie die Information, dass Sie wegen Online-Kommentierens bereits in ein Strafverfahren involviert waren», heisst es im Brief, welcher der Schweizerzeit vorliegt. «Auch wenn Sie sich nicht weiter an der Studie beteiligen möchten, bitten wir um eine kurze Rückmeldung, damit wir Ihre Adresse aus unserem Verzeichnis löschen können», geht der Brief leicht nötigend weiter.
Am 11. Juli erhielten die Betroffenen von der Universität sogar ein Erinnerungsschreiben: «Falls Sie nicht an dieser Studie teilnehmen möchten, werden wir Sie nicht weiter kontaktieren und Ihre Kontaktinformationen löschen, sofern wir in den kommenden Wochen nichts von Ihnen hören.» Einige der angeschriebenen Personen waren ob des offiziösen Schreibens eingeschüchtert und meldeten sich bei der Uni Zürich.
Persönlichkeitsverletzung nach Datenschutzgesetz
Andere ärgerten sich, dass man selbst aktiv werden sollte, damit die Uni die eigenen Daten lösche. Auch die Schweizerzeit wurde von Betroffenen kontaktiert. Sie gab folgende vorläufige Einschätzung ab: «Das ist eine Persönlichkeitsverletzung nach Datenschutzgesetz. (…) Wer Personendaten bearbeitet, darf dabei die Persönlichkeit der betroffenen Personen nicht widerrechtlich verletzen.»
Auf zivilrechtlichem Weg ist daher eine Klage auf Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung denkbar. Auf strafrechtlichem Weg könnte auf Antrag eine vorsätzliche Datenschutzverletzung bestraft werden.
Letzteren Weg gingen einige der «Opfer» der NetzCourage-Datenlieferung: Sie reichten Strafanzeige ein. Die Universität Zürich wollte indes anfänglich kein Unrecht einsehen: Ohne Zusammenarbeit mit NetzCourage sei es äusserst schwierig, Online-Kommentatoren zu kontaktieren, meinte eine Sprecherin.
Datenschutzbeauftragter muss eingreifen
Die Forschenden hätten nach Erhalt der Daten mit einem Schreiben noch einmal sichergestellt, dass in ihre Studie ausschliesslich Daten von Personen einfliessen würden, die damit ausdrücklich einverstanden seien, wiegelte die Uni weiter ab. «Alle übrigen Daten, die NetzCourage lieferte, wurden und werden gelöscht – unabhängig davon, ob die Angeschriebenen dies explizit verlangen oder sich gar nicht zurückmelden.»
Der für die Aufsicht zuständige Zürcher Datenschutzbeauftragte Bruno Baeriswyl liess daran indes kein gutes Haar und kritisierte das Vorgehen ungewöhnlich scharf: «Wir haben den Sachverhalt mit grosser Irritation zur Kenntnis genommen», wird er in 20 Minuten zitiert, das weiter schreibt: «Die Beschaffung der Daten für dieses Forschungsprojekt scheine weder den datenschutzrechtlichen Anforderungen noch ethischen Richtlinien zu entsprechen.»
Institut krebst zurück
Erst jetzt erklärte sich das Institut bereit, sein Vorgehen nochmals zu überdenken: «Sollte sich dabei herausstellen, dass die bereits erhobenen drei Befragungen für die Studie nicht verwendet werden dürfen, wird die Studie abgebrochen, und es werden sämtliche erhobenen Daten gelöscht beziehungsweise vernichtet.» Auf Nachfrage von Petra Hartmann, welche sich unter dem Titel «Expertin präventiver Opferschutz» für einige der «NetzCourage-Opfer» einsetzt, schrieb Dr. Lea Stahel, die «Online-Aggressions-Expertin» des Soziologischen Instituts:
«Wie wir Ihnen bereits mitgeteilt haben, hat das Soziologische Institut derzeit nur noch Interviews gespeichert. Die interviewten Personen hatten sich explizit bereit erklärt, an einer Befragung und an der Studie teilzunehmen. Die Daten aller übrigen Personen, also derjenigen, die entweder die Löschung verlangt oder die sich auf die Schreiben des Soziologischen Instituts nicht gemeldet hatten, hat das Institut mittlerweile vollumfänglich gelöscht. Sollte sich dabei herausstellen, dass die bereits geführten Interviews für die Studie nicht verwendet werden dürfen, so wird die Studie abgebrochen, und es werden auch diese Daten gelöscht resp. vernichtet.»
«Datenrechtsverletzung von netzcourage.ch»
Auf die Forderung, das Institut müsse die bezahlten tausend Franken zurückfordern – eigentlich eine Selbstverständlichkeit angesichts des mit Steuergeldern finanzierten, wohl unrechtmässigen, sicher aber weitgehend nutzlosen Datenverkaufs – ging das Institut nicht ein. Hartmann hakte daraufhin beim Nationalfonds nach. Deren Leiterin Direktionsstab/Recht antwortete wie folgt:
«Die erforderlichen Massnahmen mit Bezug zu den Daten von netzcourage.ch hat der SNF getroffen. Diese Daten dürfen nicht verwendet werden. Die Forschenden wurden deshalb angewiesen, die bei netzcourage.ch bezogenen Daten vollständig zu löschen, auch in den Fällen, wo Betroffene ihre Einwilligung zum Interview gegeben haben. Gemäss unserer rechtlichen Beurteilung hätte netzcourage.ch die Daten ohne Einwilligung gar nicht liefern dürfen. Insofern ist eine Datenrechtsverletzung von netzcourage.ch zu verantworten. Die Verwendung der Daten durch die Forschenden akzeptiert der SNF bei dieser Ausgangslage nicht, weshalb er jede weitere Verwendung abgebrochen hat.»
Darf NetzCourage das Geld behalten?
Muss nun aber Spiess-Hegglin die tausend Franken, welche ihr Verein vom Staat für die wohl illegale Datenlieferung erhielt, zurückzahlen? Die verklausulierte Antwort des Nationalfonds: «Das an netzcourage.ch gezahlte Honorar darf dem Projektbudget nicht belastet werden. Die finanzielle Prüfung der Abrechnungen durch den SNF stellt sicher, dass dieser Betrag nicht aus Mitteln des SNF finanziert wird. Den Forschenden wurde die Anrechnung an das Projektbudget explizit untersagt.»
Wenn nicht alles täuscht, so bedeutet das, dass die tausend Franken für die wohl illegale Datenlieferung einfach aus einem anderen Topf kommen werden.
Hermann Lei
BRISANT vom 13. September 2019 als PDF-Dokument herunterladen