Vor der Abstimmung über das revidierte Nachrichtendienstgesetz (NDG) 2016 beschwichtigte der Bundesrat, es werde «keine umfassende Überwachung der Bevölkerung» geben. Eine Medienrecherche fördert nun zutage, was kritische Geister längst vermutet haben: Der Bundesrat führte uns alle hinters Licht. Mittels Kabelaufklärung lesen Bundesstellen bei der gesamten Internetkommunikation mit – entgegen den Versprechungen sogar im Inland!
Seit das linke Online-Magazin «Republik» im Januar 2018 mit viel Pathos und Selbstüberhöhung an den Start gegangen ist, verblieb dessen Leistungsausweis bis anhin – sagen wir mal – «mit Luft nach oben». Grosse Geschichten und Primeurs blieben Mangelware, ausserhalb der eigenen Blase wurden die Erzeugnisse dieses linken Prestigeprojekts höchst selten wahrgenommen.
Eine am 9. Januar 2024 publizierte Reportage bildet dabei eine löbliche Ausnahme. Akribisch und mit Bezugnahme auf offizielle Dokumente fördert sie wahrlich Brisantes zutage:
- Seit Inkrafttreten des revidierten Nachrichtendienstgesetzes 2016 wird der Internetverkehr von Menschen in der Schweiz massenhaft mitgelesen. In gerichtlichen Dokumenten räumt das Verteidigungsdepartement ein, dass die «inländische» Kommunikation inhaltlich gelesen und ausgewertet werde. Und: Sämtliche Daten werden für spätere Auftragssuchen gespeichert. Das ist nichts anderes als systematische Massenüberwachung der Schweizer Bevölkerung!
- Journalisten können wegen der angewandten Kabelaufklärung den Quellenschutz technisch genauso wenig gewährleisten wie Anwälte das Anwaltsgeheimnis. Deren Kommunikation kann unter Umständen an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) weitergeleitet werden.
NDB will mehr Kompetenzen
Mit dem Bewusstsein, wonach in jedem Geheimdienst, in jedem Nachrichtendienst stets die Meinung vertreten wird, über zu wenig Kompetenzen zu verfügen (selbst wenn man ihn zusehends mit mehr Machtfülle ausstattet), reagierte man hierzulande nach der Aufdeckung des Fichen-Skandals Ende der 1980er-Jahre in der Regel kühl und abgeklärt, wenn der NDB mal wieder zu wenig Mittel beklagte. Es war «Common Sense», dass man in der Schweiz keinen allzu mächtigen Geheimdienst wollte, der nach immer neuen Betätigungsfeldern giert und auch vor politischer Gesinnungsschnüffelei nicht Halt macht. Im Zuge aufkommender Bedrohungen wie dem muslimischen Dschihadismus änderte sich – teilweise auch zu Recht – die Betrachtungsweise. Es bleibt bis heute eine Gratwanderung, das richtige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zu wahren.
Im September 2016 stimmten die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger über das revidierte Nachrichtendienstgesetz ab. Nachdem in den Jahren zuvor eine Allianz aus SVP und Linken einen Ausbau der NDB-Kompetenzen konsequent zurückgewiesen hat, wurde die Gesetzesrevision mit der Begründung vorangetrieben, dass man dringend mehr Möglichkeiten brauche, um gegen Terroristen vorzugehen. Die Befürworter erklärten, vor einem «Schnüffelstaat» und einer «Fichenaffäre 2.0» brauche niemand Angst zu haben, es gehe ausschliesslich um zielgerichtetes Bekämpfen von Gefährdern, meist Islamisten. Dass man gleichzeitig die wirksamsten Terrorabwehr-Massnahmen nicht umgesetzt hat (härtere Einwanderungsgesetze, gezielte Ausschaffungen, Moscheen-Finanzierung aus dem Ausland strikte reglementieren etc.), sei hierbei nur am Rande erwähnt. So oder so: Mit der Fokussierung auf Terrorbekämpfung und dem Versprechen, dass es keine Massenüberwachung geben werde, hatte man die Bürgerlichen als Unterstützer im Boot. Und letztlich war auch die Stimmbevölkerung überzeugt: Das NDG wurde mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen klar angenommen.
Umstrittene Kabelaufklärung
Eine der gewichtigsten Änderungen der Gesetzesrevision betraf die sog. Kabelaufklärung. Durch sie erhält der Nachrichtendienst die Möglichkeit, die Kommunikation über Glasfaserkabel und Satellit zu überwachen. Damit lässt sich sämtliche Kommunikation (die nicht speziell verschlüsselt ist) über Internet-Kabelnetze standardmässig nach bestimmten Suchbegriffen durchsuchen. Zum angezapften internationalen Datenverkehr gehören E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Video-Konferenzen oder Suchmaschinen-Abfragen. Nach welchen Begriffen genau gefiltert wird, weiss man nicht so genau. Es könnten aber zum Beispiel Angaben zu Personen oder zu Technologien sein. Wird ein Begriff gefunden, wird die entsprechende Nachricht an das «Zentrum elektronische Operationen» des Verteidigungsdepartements (ZEO) weitergeleitet. Das in der Berner Gemeinde Zimmerwald beheimatete ZEO leitet die Kommunikationsdaten je nach Ergebnis an den NDB weiter.
Vor dem Missbrauch dieser Kabelaufklärung haben Kritiker im Abstimmungskampf vehement gewarnt. Wie die «Republik» schreibt, wehrte sich der Verein Digitale Gesellschaft zusammen mit Anwälten und Journalisten auch nach Inkrafttreten des NDG am 1. September 2017 auf juristischem Weg gegen die Kabelaufklärung. Sie sahen ihr Berufsgeheimnis und den Quellenschutz gefährdet, wenn ihre Internet-Kommunikation angezapft werden dürfe. Die Kritiker glaubten den Versprechen von Politik und Nachrichtendienst nicht, obwohl diese hoch und heilig versichert haben, mit der Kabelaufklärung würden keine Schweizer Bürger überwacht – weder im Inland noch im Ausland.
Staat verspielt Vertrauen
Nun zeigt sich, dass die Warner Recht hatten und der Bundesrat – einmal mehr – der Falschaussage überführt wurde. Das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat dürfte nach den Tiefpunkten der staatlichen Coronapolitik weiteren Schaden nehmen. Was kann man als Staatsbürger und Steuerzahler von seiner Regierung noch erwarten, wenn diese ihn dauernd falsch informiert (um nicht vom Begriff der Lüge zu sprechen) – und das Fehlverhalten in den seltensten Fällen zu Konsequenzen führt?
Für mich, der zum revidierten Nachrichtendienstgesetz – hauptsächlich wegen eines «unguten Bauchgefühls» – damals schon Nein gestimmt hat, ist die jüngste Enthüllung keine Genugtuung. Vielmehr bereitet mir Sorgen, dass es die grosse Masse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht weiter jucken wird, dass sie vom Bund auf Schritt und Tritt überwacht wird – obwohl dieser zuvor noch das Gegenteil behauptet hat. Die Vergangenheit hat schliesslich bewiesen, dass ein Grossteil der Gesellschaft kein Problem damit hat, sowohl dem Staat als auch grossen Konzernen völlig nackt oder gläsern gegenüberzustehen. Ein Umdenken des Einzelnen dürfte wohl erst einkehren, wenn er oder sie aufgrund einer Verwechslung oder dummer Zufälle ungerechtfertigt unter Verdacht gerät. Hierzu sei der zeitlose Streifen «Staatsfeind Nr. 1» mit dem berühmten Schauspieler Will Smith empfohlen. Wer staatliche Massenüberwachung nach diesem Film noch bedenkenlos abnickt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Privatsphäre schützen
Dem mutigen Einsatz des Whistleblowers Edward Snowden war es zu verdanken, dass die Welt ab 2013 erfuhr, dass die weltweite Online-Kommunikation seit Jahren schon systematisch von US-Geheimdiensten abgehört worden ist. Danach gab es zwar ein paar Proteste – im Grossen und Ganzen hatten die unter beträchtlichen persönlichen Opfern erbrachten Enthüllungen Snowdens aber wenig Auswirkungen. Schnell zog wieder der «Courant normal» ein – und heute dürften die Geheimdienste munter weiter alles überwachen, wie wenn nichts gewesen wäre. Der Durchschnittsbürger nimmt achselzuckend hin, dass Regierungsstellen ungefragt und meist ohne Anfangsverdacht in intimste Bereiche seines Lebens eindringen. Man hat ja «nichts zu verbergen»… Ich kann diese Floskel längst nicht mehr hören und mache mir jeweils einen Spass daraus, in die verdutzten Gesichter zu blicken, nachdem ich entgegnet habe: «Wer in seinem Leben nichts zu verbergen hat, muss ein enorm langweiliger Mensch sein.»
Ganz ohne Folgen sind die offenbarten Übergriffigkeiten durch Grosskonzerne und Staatsstellen glücklicherweise nicht geblieben. In den letzten Jahren entstanden zahlreiche Dienste, mit denen man auf unkompliziertem Weg verschlüsselt – und somit weitgehend überwachungsfrei – kommunizieren kann. Schweizer Unternehmen mischen in diesem Metier im übrigen ganz vorne mit. Mit der Schweizer WhatsApp-Alternative Threema lässt sich mit integrierter «Ende-zu-Ende-Verschlüsselung» absolut sicher kommunizieren. Ein führender Dienstleister, der sicheren und verschlüsselten E-Mailverkehr gewährleistet, ist Protonmail mit Sitz in der Schweiz.
Wenn der Staat uns im Internetverkehr permanent über die Schulter schauen will, liegt es an uns, die passenden Antworten zu finden. Zum Glück ist dies heute in der Schweiz für jeden möglich, dem seine Privatsphäre noch etwas wert ist.