Stakeholder-Geschwurbel im Corona-Zeitalter

Klaus Schwab will die Welt retten. Der Gründer und Executive Chairman des Weltwirtschaftsforums träumt seit fünfzig Jahren davon, mit seinem Stakeholder-Kapitalismus eine «inklusivere, wohlhabendere, gesündere und grünere Welt zu schaffen» und den «Shareholder-Kapitalismus» und den «Staatskapitalismus» zu überwinden.
Mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos feiert Klaus Schwab epochale Erfolge. Mit seinem Stakeholder-Kapitalismus ist er bisher krachend gescheitert.
COVID-19, der Hoffnungsträger
COVID-19 macht Klaus Schwab neuen Mut. Mit seinem soeben auch auf Deutsch erschienenen Buch «Stakeholder-Kapitalismus» hofft er, «das Erbe von COVID-19 zu verändern» und «ein Wirtschaftssystem aufzubauen, das auf Inklusivität, Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung beruht».
Er sieht die Pandemie als Retterin seines Traumes. «Die plötzliche und allumfassende Wirkung von COVID-19 hat uns vor Augen geführt, […] dass ein von egoistischen und kurzfristigen Interessen geleitetes Wirtschaftssystem nicht nachhaltig ist». Er findet, die Wirkung von COVID sei als Augenöffner sogar besser geeignet als der Klimawandel und die «zunehmende Ungleichheit».
The Great Reset
Das Thema «COVID als Weltrettung» ist für Klaus Schwab nicht neu. Vor gut einem Jahr veröffentlichte er unter dem Titel «COVID 19: The Great Reset» seine «beunruhigende, aber auch hoffnungsvolle Analyse», warum die Seuche einen grossen Umbruch in unserem globalen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systemen zum Besseren auslösen werde.
Sein neues Buch trägt den nicht ganz unbescheidenen Untertitel «Wie muss sich die globale Welt verändern, damit sie allen dient?»
Die heile Welt seines Vaters
Vor fünfzig Jahren, als sein Vater die Firma Escher Wyss in Ravensburg führte, war die Welt noch in Ordnung. Es war noch ganz selbstverständlich, dass «ein Unternehmen und sein CEO nicht nur die Aktionäre und deren Gewinnerwartungen, sondern alle Stakeholder eines Unternehmens berücksichtigte».
Weshalb das bei den heutigen Firmen auf dem Escher Wyss-Areal und sonstwo auf der Erde nicht mehr so sein soll, erklärt Schwab nicht. Er sieht sich einfach als einsamen Kämpfer gegen den «Shareholder Kapitalismus» des Nobelpreisträgers Milton Friedman. Egoismus und kurzfristiges Denken sind Klaus Schwab ganz offensichtlich sehr zuwider.

Singapore als Vorbild
Da die Stakeholder-Kapitalisten für alles Gute und Gerechte auf Erden sorgen sollen, stellt sich die Frage, wozu es dann noch Regierungen braucht. Hierzu gibt uns Klaus Schwab besondere Weisheiten auf den Weg: «Eine Regierung sollte jedem einzelnen Menschen ermöglichen, seinen Wohlstand zu maximieren, und zwar auf eine Art und Weise, die sowohl für den Menschen als auch für den Planeten gerecht ist». Banaler geht es wirklich nicht.
Schwab empfiehlt Singapore als Regierungsvorbild. Das Land ist wirtschaftlich erfolgreich, bezüglich Demokratie aber fürwahr kein Vorbild. Es figuriert 2020 auf Platz 74 in der entsprechenden Rangliste der Economist Intelligence Unit. Besonders schwach schneidet es ab in den Dimensionen «Wahlverfahren und Pluralismus» und «politische Mitwirkung». Das Land, seit der Gründung von der gleichen Partei regiert, ist ausgesprochen autoritär geführt. Es weist eher Züge einer Aristokratie auf als solche einer Demokratie.
Aristokratie
Eigentlich träumt Klaus Schwab von einer globalen Aristokratie. Damit bezeichnet man «die Herrschaft einer kleinen Gruppe besonders befähigter Individuen, wobei die Art der Befähigung nicht näher bestimmt ist». Die ursprüngliche Wortbedeutung ist «Herrschaft der Besten». Nach Aristoteles geht es dabei um Tugend und Tüchtigkeit. Im Gegensatz dazu steht die Oligarchie, die Machtausübung durch eine Minderheit, die darin den eigenen Vorteil sucht.
Das passt doch ganz wunderbar auf Schwabs Gefolgschaft, die sich in coronaarmen Zeiten jeweils im Januar in Davos versammelt. Diese internationale Gefolgschaft sieht sich als besonders befähigt. Aber das sind doch weitgehend die Leute, denen Klaus Schwab vorwirft, als Shareholder-Kapitalisten ein von „egoistischen und kurzfristigen Interessen geleitetes Wirtschaftssystem“ zu vertreten und die Welt zu zerstören. Auf keinen Fall sind diese Leute die selbstlose Elite, der man sich blind anvertrauen würde.
Entweder ist Schwab naiv, was mir eher unwahrscheinlich scheint, oder er hat eine versteckte Traktandenliste. Das ist ein fruchtbarer Boden für alle Arten von Verschwörungstheorien.
Mir erscheinen seine Gedanken und Appelle zur Lösung aller Probleme dieser Welt – Klimawandel, Ungleichheit, Hunger, Arbeitslosigkeit etc. – mit Hilfe seines Stakeholder-Kapitalismus auf jeden Fall als eine Ansammlung leerer Floskeln, vorgetragen mit viel Pathos.
Demokratie – Nein danke
Demokratie spielt im Weltbild von Klaus Schwab keine Rolle. „Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk“ (Abraham Lincoln) ist definitiv nicht sein Thema. In seinem neuesten Werk zur Rettung der Menschheit hat Demokratie keinen Platz. Und Nationalstaaten natürlich auch nicht.
Für Schwab ist alles so einfach: Den Klimawandel, die Einkommensungleichheit, das kaputte Wirtschaftssystem, die geschlechterspezifischen Ungleichheiten und die COVID-19-Krise löst er mit seinem «Stakeholder-Kapitalismus». Das ist wohl ein bisschen viel der Anmassung.
Das wird wieder schief gehen, Gott sei Dank.