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«Stick to Science!»

Der EU-Erpressungsversuch mit dem Ausschluss von Schweizer Forschern ist kollabiert. Doch unsere Top-Wissenschafter entpuppten sich im Konflikt als Wendehälse.

Am 23. April 2021, vor knapp einem Jahr, teilte Bundespräsident Guy Parmelin der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel mit, dass die Schweiz das Rahmenabkommen nicht unterzeichnen werde. Darauf entschied die Europäische Kommission, die Schweiz werde fortan beim Forschungsprogramm «Horizon Europe» für alle Ausschreibungen nur noch den Status eines nicht-assoziierten Drittstaates innehaben. Somit missbrauchte die EU den Zugang zu einem Forschungsprogramm, das keinen Bezug zum Rahmenabkommen hat, als Strafe.

EU-Lobby schürt Angst und Panik

Kurz darauf startete die EU-Lobby eine medial grossaufgezogene Kampagne, bei der führende Schweizer Forscher aktiv mitmachten. Dunkle Szenarien sollten bei den Stimmbürgern Angst und Panik auslösen, die Forschung in der Schweiz sei am Ende. Isoliert von der Aussenwelt würden die meisten Forscher ins Ausland wegziehen. Der Bundesrat müsse sofort die Verhandlungen mit der EU für ein neues Rahmenabkommen aufnehmen, um das Unheil abzuwenden.

Doch nun folgte plötzlich eine 180°-Wende: Dieselben Forscher, die noch vor wenigen Tagen die Untergangsszenarien gefüttert hatten, unterschrieben am 8. Februar, «zufälligerweise» als sich der britische Forschungsminister Freeman für Gespräche mit Bundesrat Parmelin in Bern aufhielt, einen europaweiten Aufruf unter dem Titel «Stick to Science». Inhalt: «Die Wissenschaft soll nicht länger als Geisel der Politik missbraucht werden. Das fordern Wissenschafter aus dem europäischen Forschungsraum. Am Dienstag haben sie die Kampagne ‹Stick to Science› (Bleib bei der Wissenschaft) lanciert.» Diese setze sich dafür ein, Forscher aus der Schweiz und Grossbritannien nicht länger vom europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe auszuschliessen.

Die gleichen Forscher, die an der Kampagne für ein neues Rahmenabkommen enthusiastisch teilgenommen haben, sagen jetzt scheinheilig: «Die Wissenschaft soll nicht länger als Geisel der Politik missbraucht werden» – nachdem sie jahrelang Wissenschaft und Politik vermischt haben. Zwölf Nobel-Preisträger und über 250 Forscher und leitende Kader der Wirtschaft aus achtzehn EU-Nationen, dem UK und der Schweiz haben den Appell unterschrieben.

Wundersame Bekehrung

Was hat die «wundersame» Bekehrung des Schweizer Forschungs-Establishments herbeigeführt, medienwirksam angeführt von Leuten wie Michael Hengartner, Präsident des ETH-Rats? Die Vermutung liegt nahe, dass die Verhandlungen der Schweiz mit Grossbritannien die Kehrtwendung verursacht haben. Laut britischen Medien baut das Vereinigte Königreich (UK) gegenwärtig ein neues Forschungsnetzwerk ausserhalb der EU auf. Teilnehmen werden voraussichtlich die fünf angelsächsischen Länder UK, USA, Kanada, Australien und Neuseeland, aber auch Israel, Japan und Südkorea. Die Schweiz sei eingeladen, dort mitzumachen.

Die NZZ (8.2.2022) zitierte Freeman wie folgt: «Der Wunsch zur Kooperation mit der Schweiz besteht unabhängig davon, ob die Verhandlungen mit der EU erfolgreich zum Abschluss gebracht werden können.» Die Wissenschaft habe eine globale Dimension. Deshalb sei es wichtig für sein Land, auch mit Ländern ausserhalb der EU zu kooperieren. Neben der Schweiz nennt Freeman explizit Länder wie Israel, Japan, Südkorea oder Kanada.

Zu welchen Ergebnissen seine Gespräche in der Schweiz geführt hätten, sei noch nicht spruchreif, sagt Freeman. Man habe sich aber darauf geeinigt, die Zusammenarbeit in Bereichen zu intensivieren, in denen beide Länder stark seien. «Dazu gehören die künstliche Intelligenz, die Kernfusion, die Neurowissenschaften, die Teilchenphysik und auch die Quantentechnologien. Zudem sollen die Industrien beider Länder stärker eingebunden werden.»

Die besten europäischen Hochschulen

Bei den Gesprächen des britischen Forschungsministers George Freeman mit Bundesrat Guy Parmelin hob der UK-Spitzenpolitiker hervor, dass sich neun der zehn besten europäischen Hochschulen auf der britischen Insel und der Schweiz befänden. Fazit: Die Verhandlungen der Schweiz mit Grossbritannien für die Teilnahme an einem hochkarätigen neuen weltweiten Forschungsnetz hat offensichtlich eine Panik in der europäischen Forschergemeinschaft ausgelöst. Diese will nun die Schweiz und Grossbritannien so bald wie möglich an das EU «Horizon Europe-Netz» anbinden.

Deshalb nun die 180°-Wende. Der stupide Ausschluss der Schweiz aus «Horizon» als Strafe für die Nichtunterzeichnung des Rahmenabkommens rächt sich jetzt für die EU bitterlich. Die gleichen Schweizer Forscher und Unternehmer, die bis vor kurzem den Bundesrat unter Druck setzten, ein Rahmenabkommen neu auszuhandeln, um die Forschung zu retten, schreien heute: «Stick to Science!»

Die Wissenschaft darf nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Die Wissenschafter verlieren sonst jede Glaubwürdigkeit und jeden Respekt, wenn sie jetzt heuchlerisch das Gegenteil von dem fordern, was sie jahrelang verlangt haben. Besonders peinlich ist das Ganze für die VR-Präsidenten von Roche und Novartis, Christoph Franz und Jörg Reinhardt, sowie für Christoph Mäder und Monika Rühl, dem Präsidenten und der Direktorin von Economiesuisse. Die vier haben den «Stick to Science»-Aufruf unterzeichnet, obwohl sie es waren, die seit Jahren die Pro-Rahmenabkommen-Kampagne angetrieben haben. Und genau diese Kampagne hat die Forschung «als Geisel der Politik missbraucht».

«Stick to Science»: Warum erst jetzt?

Warum kommt den Schweizer Forschern diese Weisheit erst jetzt in den Sinn? Inzwischen hat sich der Druck auf die EU-Kommission erhöht, die Schweiz wieder bei «Horizon» aufzunehmen. Auf «Tagesanzeiger-Online» vom 11. Februar war zu lesen: «EU-Forschungsprogramm Horizon – Baerbock verspricht der Schweiz Hilfe». Und auf der gleichen Plattform stand am 14. Februar: «Österreich will Brückenbauer sein». Die Schweiz dürfte als Forschungsplatz nicht verloren gehen, sagte Bundeskanzler Nehammer mit Blick auf das Horizon-EU-Forschungsprogramm. «Es ist wichtig, dass wir wieder ernsthaft zusammen sprechen, um neue Lösung zu finden.» Man müsse aus der Pattsituation herauskommen, die mit der Beendigung des Rahmenabkommens mit der EU entstanden sei, betonte Nehammer.

von Dr. Pedro Reiser, Manager von Grossunternehmen mit langjähriger Auslanderfahrung, Zürich

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Publiziert von Schweizerzeit

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Ein Kommentar

  1. Wir sollten mit den Briten gemeinsame Sache machen egal wie die Verhandlungen mit der EU ausgehen. Die CH kann grosse Sachen erreichen mit den Englischsprachigen Nationen. Die Welt ist nicht nur die EU. Es ist wichtig für die EU dass sie lernt dass die CH sich nicht so behandeln lässt.

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