Immer häufiger wird das Thema Blackout, also ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, thematisiert. So etwas gab es noch nie in Europa. Für die meisten Menschen kommt der Strom einfach sehr verlässlich aus der Steckdose. Was dahintersteckt und welche Veränderungen gerade passieren, ist selten bekannt. Genau das beleuchtet der nachstehende Beitrag.
Es ist wichtig zu wissen, dass wir keine nationalen Stromversorgungssysteme haben, sondern ein europäisches Verbundsystem. Dieses besteht seit Kurzem aus 29 Ländern und reicht von Portugal bis in die Osttürkei, und von Sizilien bis nach Dänemark. Und seit dem 17. März 2022 sogar bis in die Ostukraine. Dieser Schritt wurde schon länger vorbereitet, jedoch wurde durch den Krieg in der Ukraine kurzfristig eine Notsynchronisation mit der Ukraine und Moldawien durchgeführt. Ein nicht unproblematischer Schritt. Die Schweiz liegt mitten in diesem System und hat mit 41 Grenzkuppelstellen so viele Verbindungen mit den Nachbarländern wie kein anderes Land. Was im Alltag einen sehr hohen Nutzen darstellt, hat auch seine Schattenseiten.
Es gibt kein kollapsfreies System
Dieses Verbundsystem zählt zu den grössten und verlässlichsten der Welt. Dennoch gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, wie bereits 2015 die europäischen Übertragungsnetzbetreiber anlässlich des Blackouts in der Türkei festgehalten haben: «A large electric power system is the most complex existing man-made machine. Although the common expectation of the public in the economically advanced countries is that the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system.» Diese Gefahr nimmt mit einer Reihe von Stressfaktoren seit Jahren zu. Ein komplexes System kann vieles wegstecken. Wird jedoch ein Kipp-Punkt überschritten, kommt es abrupt zu einem Phasenübergang oder Kollaps.
Die wesentlichen «Stressfaktoren»
Ein zentraler Stressfaktor ist der Strommarkt, der auf die physikalischen und technischen Rahmenbedingungen keine Rücksicht nehmen muss und das Verbundsystem als Kupferplatte betrachtet. Die physikalische Realität ist jedoch eine andere. Dieser Stressfaktor wird nach den derzeitigen Vorgaben noch deutlich zunehmen, da der grenzüberschreitende Stromhandel bis 2025 erheblich ausgeweitet werden soll. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch das fehlende Stromabkommen zwischen der EU und der Schweiz, was in Ausnahme- situation die Schweizer Strominfrastruktur enorm be- lasten könnte. Sollte etwas schiefgehen, wäre nicht nur die Schweiz allein betroffen. Mitgefangen bedeutet auch mitgehangen.
Ein weiterer Stressfaktor ist die volatile Stromerzeugung aus Wind- und Photovoltaikanlagen, weil hier die falschen Rahmenbedingungen gesetzt wurden. Denn im Wechselstromsystem muss permanent genauso viel Strom erzeugt werden, wie gerade verbraucht wird. Ansonsten kollabiert das System. Dass das nie genau passen kann, liegt auf der Hand. Damit dieser Ausgleich immer funktioniert, sind die rotierenden Massen («Momentanreserve») der Grosskraftwerke notwendig, wo permanent mechanische Energie in elektrische und umgekehrt umgewandelt wird. Das sind zentrale Puffer, deren Bedeutung gerne unterschätzt wird. Daher wird mit der Abschaltung jedes konventionellen Kraftwerks auch dieser Sicherheitspuffer reduziert, wenn nicht im grossen Stil Alternativen geschaffen werden, was erst in Ansätzen passiert.
Fehlende Speicherkapazität
Zusätzlich werden für den Umstieg auf erneuerbare Erzeugung aus Wind und Sonne enorme Speicher benötigt, um die volatile Erzeugung jederzeit ausgleichen zu können. Während in der Schweiz dafür rund 8’800 Gigawattstunden (GWh) in Form von (Pump-) Speicherkraftwerken zu Verfügung stehen, stehen in Deutschland nur rund 40 GWh zur Verfügung, ohne nennenswerte Ausbaumöglichkeiten. Damit könnte nicht einmal eine Stunde des deutschen Stromverbrauchs gedeckt werden. Auch Batteriespeicher sind da keine ausreichende Lösung. Um nur 40 GWh in E-Autos (~ 50 kWh) oder Hausspeichern (~ 10 kWh) zwischenspeichern zu können, wären enorme Mengen erforderlich. So etwa 800’000 E-Autos von leer auf voll.
Problematische «Energiewende»
Als weitere Stressfaktoren kommen eine alternde Infrastruktur sowie die notwendige Infrastrukturanpassung aufgrund der Energiewende hinzu, wo in den nächsten Jahren ein enormer Aufwand notwendig wird. Gleichzeitig gibt es durch den Krieg in der Ukraine bereits eine Rohstoffverknappung, wie etwa beim zwingend benötigten Aluminium. Aber auch Fachpersonal fehlt, weil sich immer weniger junge Menschen für diesen Bereich interessieren. Zu all dem kommt noch ein steigender Stromverbrauch durch Digitalisierung, E-Autos, Wärmepumpen oder Klimaanlagen hinzu.
Einzelprobleme werden im Stromversorgungssystem abseits der öffentlichen Wahrnehmung tagtäglich beherrscht. Kommt es jedoch zu einer Kumulation von Einzelereignissen, kann der Kipppunkt rascher erreicht werden, als es viele für möglich halten. Zwar gibt es eine Reihe von Sicherheitsmechanismen, um das zu verhindern, jedoch können diese kaum mit den laufenden Veränderungen mithalten.
Gefährliche Kumulation von Einzelereignissen
Daher können mögliche Einzelereignisse wie Extremwetterlagen, Sabotageakte, Cyber-Angriffe, Marktmanipulationen oder einfach eine Komplexitätsüberlastung eine gefährliche Kettenreaktion lostreten, auf die wir als Gesellschaft nicht vorbereitet sind. Denn ein Blackout führt eben nicht nur zu einem Stromausfall, sondern zu einem Kollaps der gesamten Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen. Ein Blackout ist daher ein völlig unterschätztes Katastrophenszenario.
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen und Keynote-Speaker. Der ehemalige Berufsoffizier beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der zunehmenden Komplexität und Fragilität lebenswichtiger Infrastrukturen. Er betreibt dazu unter www.saurugg.net einen umfangreichen Fachblog und unterstützt Gemeinden, Unternehmen und Organisationen bei einer ganzheitlichen Blackout-Vorsorge.