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Ungenügendes Krisen­management des Bundes

Mit grosser Sorge hat die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) in den letzten Monaten die schwächelnde Krisenfähigkeit und das lavierende Krisenmanagement des Bundes beobachtet. Die bisherige Bewältigung der Corona-Krise durch den Bundesrat überzeugt die SOG keineswegs.

Schuld daran sind nicht das angeblich schwerfällige föderale System und der vielgescholtene Kantönligeist, selbst das Zusammenspiel zwischen Bund und Kantonen funktioniert leidlich.

Schuld ist vielmehr das Fehlen des einstmals auch international vorbildlichen Risiko- und Krisenmanagements auf nationaler Ebene.

Schweizer Erfolgsmodell – das war einmal

Noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verfügte die Schweiz über ein ausgefeiltes, praxistaugliches und allseits anerkanntes Krisentraining. Basierend auf den bewährten, militärisch geprägten Gesamtverteidigungsübungen profitierte unser Land lange Zeit von systematischen, breit abgestützten und effizienten Führungsprozessen. Lange Zeit hat uns das Ausland um dieses Erfolgsmodell beneiden. Was ist von diesem durchkonzipierten und verlässlichen Krisenmanagement in der anhaltenden Corona-Krise übrig geblieben? Leider nicht mehr allzu viel. Dabei hätte die Schweiz in der Pandemie ein internationales Vorbild sein können. Diese einmalige Chance hat unser Land definitiv verpasst. Wie konnte es so weit kommen?

Missglückte Armeereformen

Seit dem Kalten Krieg und nach zahlreichen, mehrheitlich missglückten Armeereformen hat sich das Schweizer Sicherheitssystem infolge langer Schönwetterperioden fast unbemerkt, aber in der gegenwärtigen Lage schmerzhaft zutage tretend, von den militärischen Führungsprinzipien verabschiedet. Diese haben sich etwa im Wirtschaftsleben als gängige Führungspraxis längst etabliert. In der – grundsätzlich armeenahen – Bundesverwaltung haben militärische Kommandostrukturen und Übungskulturen in des keinen einfachen Stand. Der Bundesrat führt die Schweiz nicht durch die Pandemie, sondern hangelt sich ohne strategisches Konzept quasi von Woche zu Woche durch. Was ist die Ursache?

Führung durch die Verwaltung als eigentliches Malaise

Für alle Augen erkennbar – man beachte die fast schon überbordende Medienpräsenz – liegt das Krisenmanagement in der aktuellen Pandemie schwergewichtig bei den zivilen Departementen. Diese werden gewiss von vielen hervorragenden und fähigen Fachleuten geführt. Sie sind jedoch wenig gewohnt und kaum darin geschult, akute Krisensituationen zu bewältigen und, wenn es angezeigt ist, Risiken für unkonventionelle Lösungen einzugehen. Es fehlt schlicht das Verständnis für systematische, ganzheitliche und belastbare Führungstätigkeiten. Organisations- sowie departemental übergreifende Stabs- und Projektstrukturen gelten weder als prioritär noch attraktiv. Der in der ausserordentlichen Lage einberufene Krisenstab Corona des Bundesrats stellte lediglich ein Koordinationsgremium dar. Das reicht bei weitem nicht. Eine Reform und eine Entkrampfung sind dringend.

Eine der Wurzeln dieser mangelhaften Krisenstruktur auf Bundesebene ist darauf zurückzuführen, dass heute in der Verwaltung kaum jemand eine konsequente Führungsausbildung, wie es die Offizierslaufbahn anbietet, genossen hat oder über das nötige Sensorium für umfassende Lagebeurteilungen und systematische Führungsprozesse in Krisenlagen verfügt. Die SOG redet nicht der Militarisierung von Politik und Verwaltung das Wort. Vielmehr erwartet sie von einer Führungskompetenz, dass im Ernstfall zivile und militärische Ressourcen einander möglichst gut ergänzen, dieselben Führungs- werkzeuge und abläufe verwendet, die wichtigsten Schnittstellen festgelegt werden und dass die gleiche Sprache benutzt wird. Davon sind wir weit entfernt.

Dringende Modernisierung der Übungs- und Führungskultur

Der Weg hin zu einem professionelleren Krisenmanagement auf Stufe Bund führt über schlanke und transparente Strukturen. Sie sind nicht einmal neu zu erfinden, sie entsprechen dem historischen Selbstverständnis der Schweiz für eine qualitativ hochstehende Krisenbewältigung. Man wird deshalb nicht darum herumkommen, ein starkes, zentrales und im Voraus definiertes Organ zur Krisenbewältigung auf Stufe Bund zu installieren, etwa einen Bundesführungsstab, der als interdisziplinäres Lage- und Sicherheitszentrum Schweiz fungiert.

Die Mitglieder des permanenten Kernstabs erfüllten feste Aufgaben in den Departementen. Dieser behielte die Übersicht, hielte die Fäden in der Hand und koordinierte die für eine Krise relevanten Abläufe. Natürlich müsste er regelmässig beübt werden. Der Bund hat hierfür ein professionelles Ausbildungs- und Übungskonzept auszuarbeiten, unter Einbezug einer alle drei bis vier Jahre stattfindenden nationalen Gesamtübung für Bund, Kantone und Stäbe. Die Aufarbeitung des Krisenmanagements hat auch bei der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) anzusetzen, um die Mängel zu beseitigen und die Prozesse zielführend zu verbessern. Das Augenmerk gilt aber auch der Digitalisierung als Basis eines modernen Krisenmanagements

Armee mit staatspolitisch wichtiger Klammerfunktion

Ein besseres, für die Schweiz adäquates Krisenmanagement zur Bewältigung komplexer, künftiger Bedrohungen ist zwar keine Lappalie, aber auch keine unüberwindbare Meisterleistung. Gefragt ist in erster Linie der Antrieb aller, in einer Krise besser und zu Spitzenleistungen fähig zu sein. Hierfür müsste sich die Bundesverwaltung endlich einem ungezwungenen, gelasseneren Umgang mit der Armee und den sicherheitspolitischen Organen öffnen. Es ist stossend, dass bei der Erarbeitung von Varianten für die Gesamtbeurteilung einer Krisenlage nicht häufiger von den eindrücklichen Ressourcen der Armee Gebrauch gemacht wird.

Das VBS und die Armeeführung andererseits dürften in Krisenlagen angesichts der erbrachten Leistungen und Erfahrungen durchaus selbstbewusster auftreten. Es darf keine Berührungsängste zwischen den einzelnen Departementen und namentlich zum VBS geben. Etwas neidvoll blicken wir auf das Beispiel Israel, das uns – wenn auch nicht eins zu eins auf die Schweiz anwendbar – vor Augen führt, wie die sicherheitspolitischen Primärtugenden und die Nutzung der militärischen Führungskompetenz für die Krisenbewältigung erfolgreich zunutze gemacht werden. Für die Schweiz muss eine einheitliche, zentrale Krisen- und Führungsstruktur das Ziel sein – und eine rasche Rückkehr zum einstmals bewähren Erfolgsmodell einer hochkompetenten Krisenbewältigung.

Das ist für ein erfolgsverwöhntes Land wie die Schweiz weiss Gott nicht zu viel verlangt!

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Publiziert von Schweizerzeit

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