Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) hat an ihrer Mitgliederversammlung vom vergangenen Samstag in Bern beschlossen, die Kräfte von EU-No (der Vereinigung gegen den Rahmenvertrag Schweiz-EU), Auns und Unternehmervereinigung im Kampf für eine souveräne Schweiz zu bündeln. Am 15. Oktober 2022 soll dann die neue Kampforganisation unter dem Projekttitel «PSS – Pro Souveräne Schweiz» aus der Taufe gehoben werden. Kernthema der 36. und voraussichtlich letzen Auns-Versammlung war die schweizerische Neutralität. Wir publizieren nachstehend die (gekürzten) Referate von Christoph Mörgeli und Stephanie Gartenmann.
Einmal mehr leben wir in aufgeregten Tagen, in denen die Neutralität von vielen Politikern und Journalisten als Fessel und Zwang, jedenfalls als etwas Beengendes und Einschränkendes empfunden wird. In Zeiten von schrillem Kriegsgeschrei hat die Neutralität oftmals keine Konjunktur. Die Lebenswirklichkeit scheint schwer aufzukommen gegen laut ausgestossene Parolen von internationaler Solidarität, gerechtem Krieg und kollektiver Sicherheit. Die Neutralität wird nicht mehr ertragen als das, was sie für viele Generationen von Schweizern war – die legitime Schlauheit, mit welcher der machtlose Kleinstaat neben den Grossmächten überleben wollte.
Die Neutralitätsmüdigkeit mancher Parteien, Politiker, Medienschaffender und auch vieler Mitbürger erstaunt. Viele führende Persönlichkeiten in Politik, Kultur und Gesellschaft – und offensichtlich auch im Bundesrat – leiden an der Schicksalslosigkeit unseres neutralen Kleinstaates. Sie sehnen sich nach Visionen und spektakulären Taten. Die Neutralität gewährt ihnen kaum Heldenstücke und selten glanzvolle Auftritte. Aber sie gibt der Nation auch keinen Raum für rauschhaften Siegestaumel oder für die Faszination des Krieges, die wir vernunftmässig nicht erklären können, aber immer wieder feststellen müssen.
Verzicht auf Machtpolitik
Die Neutralität ist aber mehr als nur die Nichtteilnahme an Konflikten. Sie beinhaltet den freiwilligen Verzicht auf äussere Machtpolitik. So gesehen hat die schweizerische Neutralität durchaus den positiven Gehalt einer grundsätzlichen Friedenspolitik.
Die Leistung «Guter Dienste» ist zwar keineswegs das Privileg des Neutralen. Die Leistungsempfänger bringen aber erfahrungsgemäss dem unparteiischen, machtlosen Neutralen ein besonderes Vertrauen entgegen. Umgekehrt hat auch der Neutrale ein Interesse, sein Abseitsstehen in den Konflikten dieser Welt nicht als Drückebergerei erscheinen zu lassen. Die Asylgewährung an echte Flüchtlinge, das Rote Kreuz, die Katastrophenhilfe, die Wahrnehmung von Schutzmachtmandaten, der Sitz internationaler Organisationen dürften nach sachlichen Kriterien den Vorwurf des National-Egoismus für die Schweiz entkräften.
Unsere Neutralität ist nicht Selbstzweck oder blosse Gewohnheit, sondern sie sichert uns die Unabhängigkeit, und zwar neben der politischen vor allem die geistige und moralische Freiheit des selbständigen Urteils. Unser Staat ist keine Institution der Moral, sondern der Rechtsschöpfung und Rechtswahrung. Die immer häufigeren moralisierenden Stellungnahmen aus Bundesbern zu allen möglichen internationalen Problemen sind inakzeptabel. Wir Schweizer verpflichten Regierung, Diplomatie und Verwaltung zum Stillesitzen, damit sie nicht in unserem Namen reden, wo sie schweigen sollten.
«Aktive» Neutralität?
Wir vernehmen heute unentwegt die Forderung nach einer «aktiven Neutralität». Dieser Begriff ist Ausfluss eines undisziplinierten Denkens, ein Widerspruch in sich selbst: Neutralität ist nämlich immer eine passive Haltung. Dennoch wird die bewährte schweizerische «Diplomatie des Vorbildes» zunehmend durch eine «Diplomatie des erhobenen Zeigefingers» verdrängt. Wir hören heute eine zunehmende Politik der Phrasen, die einfach das wiederholt, was international gerade üblich ist. Es ist eine Politik des blossen Mitschwimmens im Chor der Heuchelei und der selbstgefälligen Unterscheidung zwischen «Guten» und «Bösen». Damit stossen wir andere Länder vor den Kopf, verärgern Handelspartner und schaffen sogar Feindschaften.
Eigenes Gepräge
Die Schweiz hat die Neutralität nicht erfunden, ihr aber in verschiedener Hinsicht ein ganz eigenes Gepräge gegeben. Die schweizerische Neutralität ist dauernd, und sie ist bündnisfrei: Weder Defensiv- noch Offensiv-Bündnisse mit anderen Staaten sind ihr gestattet. Im Weiteren ist die schweizerische Neutralität bewaffnet. Unser Land hat sich also zur militärischen Verteidigung verpflichtet und muss jederzeit garantieren, dass keine Gewalt von ihrem Hoheitsgebiet ausgeht. Die schweizerische Neutralität ist freigewählt und nicht das Ergebnis eines Diktates fremder Mächte. Und schliesslich war die schweizerische Neutralität (zumindest bis vor kurzem) integral, also vollständig. In der Zwischenkriegszeit hat unser Land mit dem Beitritt zum Völkerbund vorübergehend an wirtschaftlichen Sanktionen der Völkergemeinschaft teilgenommen – und sie tut es nun im Schlepptau der Europäischen Union erneut. Die Neutralität ist kein Mythos, sondern gültiges Verfassungsrecht: Artikel 173 der Bundesverfassung überträgt der Bundesversammlung als Erstes die Aufgabe, «Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz zu treffen». Artikel 185 überträgt dem Bundesrat dieselbe Pflicht.
Neuer Sinn
Seit ihren Ursprüngen ist unserer Neutralität ein neuer Sinn zugewachsen: Die vielgenannte Globalisierung hat zu einer Schrumpfung der Welt geführt, so dass jeder Staat seine Politik nicht mehr nur im Verhältnis zu seinen Nachbarn, sondern zu allen Ländern dieser Welt bestimmen muss. Unsere grundsätzliche Friedenspolitik nebst weltweiter Handelspartnerschaft und Guten Diensten bietet dazu eine ausgezeichnete Grundlage. Wenn wir unserer Neutralität heute diesen weiteren, zeitgemässen Sinn geben, so wird sie noch lange gerechtfertigt bleiben.
von Prof. Dr. Christoph Mörgeli, Stäfa ZH
Unsere Neutralität – modern, jung, nachhaltig
Ich freue mich, als Stimme für die Jugendlichen heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Gerade in Zeiten, in welchen unsere Werte Unabhängigkeit, Freiheit, direkte Demokratie und Neutralität in Frage gestellt werden, ist es dringend, dass wir Jungen uns engagieren. Deshalb haben wir den Verein «ESiP» gegründet.
Was ist «ESiP»?
Schon lange schwebte die Idee im Raum, einen Gegenpool zur «Operation Libero» zu schaffen – einen Verein, der unabhängig von Parteien ist und sich auf bestimmte Themen fokussiert. ESiP bedeutet Europa- und Sicherheitspolitik.
Was bedeutet «neutral» für uns Jugendliche? Die Schweiz war und ist ein neutrales Land – das war schon in der Schule klar. Aber es war für uns nur beschränkt wichtig. Höchstens witzelten wir darüber, wenn zwei sich stritten und beide einen Dritten fragten und dieser antwortete: «Ich bin so neutral wie die Schweiz, ich habe keine Meinung dazu.» Doch heisst Neutralität, keine Meinung zu haben? Und können verantwortungsbewusste Menschen überhaupt neutral sein? Ich meine Nein: Selbst wenn man Pro und Kontra abwägt, wird sich immer eine Meinung bilden.
Doch wie ist das mit Staaten? Die Schweiz liegt im Herzen Europas. Abschottung war und ist für uns keine Lösung, vor allem für uns Junge wäre es das Todesurteil in einer globalisierten Welt. Doch bedeutet vernetzt sein auch, sich in alle Konflikte einzumischen? Gerade weil wir uns im Herzen von Europa befinden, ist es wichtig, genau das nicht zu tun. Staaten haben nicht die gleiche Aufgabe wie wir einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Letztes Jahr besuchte ich in meinem Studium das Grundlagenfach «Verfassungsgeschichte und Staatstheorie». Eine der Hauptaussagen lautete: Staaten sind eigentlich Schutzgelderpresser. Sie verlangen Steuern, und im Gegenzug schützen sie unser Hab und Gut und das Territorium. Wir bekommen Sicherheit gegen Geld.
Staaten haben also ein Interesse, ihre Bürger zu behalten, um mächtig zu bleiben, und dies mit friedlichen Mitteln – denn Krieg bedeutet hohe Ausgaben und Ressourcenverschwendung. Staaten sind auch bestrebt, Konflikte mit Nachbarstaaten durch Verträge zu vermeiden und sich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen. Wer Partei ergreift, riskiert, in den Konflikt mitgerissen zu werden und zur Kriegspartei zu werden. Unser Kleinstaat Schweiz hat sich aus diesem Grund zur Neutralität bekannt und blieb dadurch auch von vielen Kriegswirren verschont. Als neutrales Land haben wir humanitäre Dienste zu leisten und eine aktive Friedensdiplomatie zu betreiben; wir gehören nicht auf die Bühne der Mächtigen.
Zurück zur Souveränität
Als Jugendliche will ich, dass die Schweiz wieder zu ihrer Souveränität zurückfindet. Ohne Souveränität können wir nicht neutral sein. Und solange wir uns an Institutionen wie EU oder gar Nato anbinden, können wir nicht eigenständig und neutral handeln. Der bewährte Weg der Schweiz beruht auf der Neutralität, den guten Beziehungen zu allen Staaten, auf Fleiss und Innovation – und auf unserer direkten Demokratie.
Deshalb appellieren wir als ESiP an unsere Politiker und Politikerinnen: «Zerstört nicht unsere Zukunft, indem Ihr persönlichen Machtgelüsten freien Lauf lasst und im Uno-Sicherheitsrat über Krieg und Frieden und viel Leid bestimmt. Fördert die internationalen Beziehungen mit guten Handelsverträgen. Investiert in die Forschung und somit in unsere Arbeitsplätze. Nehmt unsere hochmoderne Bundesverfassung wieder ernst. Sorgt für Freiheit in Sicherheit! Wenn Ihr das nicht tut, muss es spätestens meine Generation ausbaden. Wir Jungen sind gewillt, unseren Beitrag zu leisten, wir organisieren uns und stehen ein für die Werte der unabhängigen, neutralen Schweiz.
von Stephanie-Marion Gartenmann, Studentin, Matten b. Interlaken BE