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Völkerrecht: Je nachdem?

Wenn Bürokraten befehlen

Wann immer Bundesbern den Beitritt der Schweiz zu einer internationalen Vereinigung oder einer internationalen Konvention beantragt, taucht die Frage auf: Was kann man tun, wenn sich nach vollzogenem Beitritt zeigt, dass sich negative Folgen weit gravierender auswirken als erhoffte Vorteile. Ist Austritt überhaupt wieder möglich?

Gerade bezüglich EU-Beitritt oder EU-Anbindung wird diese Frage häufig gestellt. Denn Vereinbarungen mit der EU enthalten zwar einseitige Guillotine-Klauseln, die sogar Vertrags-Ausschluss bewirken können, wenn die Schweiz wesentliche Erwartungen Brüssels nicht erfüllt

Vom umgekehrten Fall, also von durchaus denkbarer Nichterfüllung wichtiger Vertragsbestimmungen durch Brüssel und daraus resultierenden Folgen, ist freilich nie die Rede. Zeichen dafür, dass es – sollte der Rahmenvertrag je wirksam werden – mit gleichberechtigtem Bilateralismus definitiv vorbei ist: Die Schweiz hätte sich zu unterziehen. Brüssels Vorrang-Position müsste ganz einfach akzeptiert werden.

 

Theorie…

Wird die Frage, ob ein Austritt aus einem internationalen Vertrag überhaupt möglich ist, nur schon gestellt, so schlägt die Stunde der Völkerrechtler: Die Möglichkeit zu geordnetem Vertragsaustritt – belehren die Völkerrechtler dann die Öffentlichkeit – bestehe zwischen zivilisierten Staaten immer. Sicher auch dann, wenn im Vertrag selbst nichts von Austrittsmöglichkeiten stehe.

Das Recht, eine Bündnis-Mitgliedschaft oder eine andersartige vertragliche Bindung aufzulösen, bestehe immer. Das resultiere aus übergeordnetem, stets gültigem, deshalb nicht in jedem Vertragspapier zu wiederholendem Völkerrecht.

 

…und Wirklichkeit

Zurzeit kann die ganze Welt einen gemäss übergeordnetem Völkerrecht angeblich immer möglichen Vertrags-Austrittsprozess verfolgen – in Form des nicht enden wollenden Feilschens um von Brüssel aufgestellte «Austrittsbedingungen» im Brexit-Vertrag. Interessant dabei ist: Die sich vor Vertragsabschlüssen so ausgesprochen wortreich in Szene setzenden Völkerrechtler verhalten sich im Blick auf die Brexit-Umtriebe merkwürdig stumm.

Hat es ihnen die Sprache verschlagen?

Vielleicht schon. Jedenfalls löst sichtbare Erschütterung aus, dass es keineswegs die Völkerrechtler sind, welche die Austrittsbedingungen – eine nicht enden wollende Kaskade immer höherer Hindernisse – diktieren. Es sind die Funktionäre Brüssels, die das Gesetz des Handelns an sich gerissen haben. Da geht es nicht um Völkerrecht, da geht es um Handfesteres. Vor allem um Geld.

 

Es geht um Geld

Da wird versucht, Grossbritannien eine Austritts-Tributzahlung in der Höhe von Dutzenden Milliarden Euro aufzunötigen. Wofür eigentlich? Hat England in den vergangenen Jahren der Mitgliedschaft seine Beiträge an die Zentrale in Brüssel nicht bezahlt? Hat London Schulden in Brüssel? Davon ist nicht die Rede. Brüssels Funktionären ist lediglich zutiefst bewusst, dass der EU mit England ein wahrhaftig ins Gewicht fallender Nettozahler verloren geht – und der erhoffte Ersatz-Nettozahler Schweiz sich vorderhand nicht melkbereit zeigt. Das Finanzloch zu Brüssel, keineswegs völkerrechtliche Prinzipien diktieren das Geschehen um den mit immer neuen Hindernissen bestückten Brexit. Für London sind es offensichtlich ungeniessbare Hindernisse.

Für die Schweiz drängt sich als Zuschauerin des Brexit-Dramas vor allem eine Schlussfolgerung auf: Der Nicht-Beitritt ist weit einfacher zu bewältigen und zu verkraften als dass der völkerrechtlich zwar durchaus gestattete, von der Gegenseite durch immer neue Querschüsse faktisch aber massivst behinderte Austritt durchgesetzt werden kann.

 

Wiedergeburt der Breschnew-Doktrin

Verfolgt man das Handeln Brüssels, dann scheint dort der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks für alle Zeiten totgeglaubten Breschnew-Doktrin neues Leben eingehaucht zu werden. Jener seinerzeit von Moskau durchgesetzten Doktrin, wonach den «Bruderländern» bloss eingeschränkte Souveränität gewährt sei.

Die Sowjetunion beschwor seinerzeit den Sozialismus als ideologische Klammer für den ihren Satelliten aufgezwungenen «Bruderstaat-Status». Die Brüsseler Funktionäre verzichten im Gegensatz dazu auf jeglichen ideologischen Überbau. Sie lassen – wie damals Moskau – einfach ihre Macht spielen, unverbrämt, aber in genau gleichem Sinn und mit gleicher Wirkung wie damals die Kreml-Herren.

 

Attraktiv für Manager

Dank dem Verzicht auf ideologischen Überbau scheint es Brüssel zu gelingen, zumindest die Manager der grossen, internationalen Konzerne für sich einzunehmen – selbst die in der Schweiz residierenden. Hans Hess, angeblich die Schweizer Maschinenindustrie vertretend, schwärmt im Blick auf den die Schweiz entrechtenden Unterwerfungsvertrag gar von einem «Massanzug».

Heinz Karrer, in der Wirtschaft gescheiterter Chef-Funktionär von Economiesuisse, preist euphorisch die vom Rahmenvertrag ausgehende «Rechtssicherheit». Sie kommt zustande, indem Bern die Entscheidungsgewalt über alle wichtigen, insbesondere über die wirtschaftspolitischen Hauptfragen mit dem Rahmenvertrag an Brüssel abzutreten hat. Damit wird die Rechtslage tatsächlich klar: Die Schweiz hat nichts mehr zu sagen, sie muss sich alles Wichtige von einem Stärkeren befehlen lassen. Damit entsteht zwar auch «Rechtssicherheit» – die Rechtssicherheit, die dem Entrechteten bleibt. Jeder Sklave kann ein vielstrophiges Lied von solcher «Rechtssicherheit» singen.

Der Chef der Privatbankiers, Patrick Odier, verkündet derweil, der Rahmenvertrag erlaube uns Schweizern «mitzumachen». Ja, das «Mitmachen» kann die Schweiz als noch souveräner Staat frei beschliessen. Würde sie sich dem Rahmenvertrag unterziehen, wäre dies freilich der letzte souveräne Entscheid, der auf dem Boden der Eidgenossenschaft noch Tatsache würde.

Die beängstigend kurzfristig denkenden und handelnden Manager wollen uns «lukrative Unfreiheit» bescheren: Ihnen, so glauben sie, flösse alles Lukrative zu. Die Unfreiheit aber verbliebe den Bürgerinnen und den Bürgern. Ein bisschen gar durchsichtig präsentiert sich dieses von kurzfristiger Geldgier diktierte Konzept.

 

Ulrich Schlüer

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Publiziert von Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer ist Historiker, Verleger und alt Nationalrat des Kantons Zürich. 1979 gründete Dr. Ulrich Schlüer die «Schweizerzeit», welche als bürgerlich-konservatives Magazin für Unabhängigkeit, Föderalismus und Freiheit bis heute erfolgreich seine Leserschaft bedient.

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