Dass in der Schweiz die Gleichheit Aller vor dem Gesetz zur Selbstverständlichkeit geworden ist, stellt eine Errungenschaft dar, die kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Es ist hierzulande undiskutabel, dass Angehörige aller Familien der allgemeinen Wehrpflicht gleichermassen unterstehen – und in der RS, überhaupt im Militärdienst mit Gleichrangigen Unterkunft und Mahlzeiten teilen.
Als die Schweizer Volksschule noch hohe Qualität auswies, war es absolut selbstverständlich, dass die Nachkommen von Direktoren im gleichen Schulzimmer, ja in der gleichen Schulbank gleichen Unterricht genossen wie Arbeiter- und Bauernkinder. In kaum einem anderen Land auf dieser Welt wurde überkommenes Klassenbewusstsein rigoroser überwunden als in der Schweiz. Niemand wird hierzulande mehr durch Geburt unwiderruflich einer ganz bestimmten, stur abgegrenzten Schicht zugewiesen, deren Grenzen für angeblich Niedrigere nie zu überwinden waren. Heute zählt Leistung, nicht Geburt.
Neuerdings gibt es indessen auch in der Schweiz Menschen, die sich selbst doch als etwas gleicher beurteilen, als sie es gewöhnlich Gleichen zubilligen. Sie finden sich vor allem in der Gilde der Juristen.
Das Urteil von Strassburg
Das medial weidlich hochgespielte Strassburger Urteil, ausgelöst von den sog. «Klima-Seniorinnen», vermittelt zur «modernen Gleichheitsbeurteilung» interessanten Anschauungsunterricht. Die Eintopf-Medien behaupten dazu einhellig, die Klagen der vier sich vom Klima als geschädigt bezeichnenden Seniorinnen sei vom Gericht anerkannt worden. Das stimmt indessen nicht. Auch das Gericht musste zur Kenntnis nehmen, dass sich Seniorinnen in stattlichem Alter bei gesunder Verfassung kaum als in ihrem Alterungsprozess geschädigt beklagen können, wenn sie imstande sind, als Seniorinnen in Strassburg vor Gericht aufzutreten. Deshalb wurde die Klage der vier Seniorinnen vom Strassburger Gericht ausdrücklich abgelehnt.
Weil sich die Strassburger Richter indessen nicht bloss als Rechtsprecher für sich als geschädigt bezeichnende Individuen verstehen, weil sie sich vielmehr auch politischen Ideologien in Sachen Klima verpflichtet fühlen, erfanden sie einen Dreh, jenen Verein, dem sich die vier persönlich nicht geschädigten Klima-Seniorinnen zugehörig fühlen, pauschal als geschädigt anzuerkennen. «Unter gewissen Umständen» könne anerkannt werden, dass ein Verein Schaden erfahre, auch wenn klagenden Vereinsmitgliedern keinerlei Schädigung attestiert werden könne, rechtfertigen sich Strassburgs Polit-Richter.
Polit-Richter
Gerichte, auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, sind dazu da, Personen und Körperschaften, die sich aus irgend einem Vorgang als geschädigt erachten, zu ihrem Recht zu verhelfen – ihre Klage gutzuheissen oder aber als unbegründet abzulehnen. Eine Körperschaft, die – tatsächlich oder vermeintlich – Schaden erlitten hat, soll per Gerichtsabklärung, die mit einem Urteil endet, erfahren, ob ihr tatsächlich Unrecht zugefügt wurde – oder eben nicht.
Damit begnügten sich die Europa-Richter indessen nicht. Sie anerkannten, dass der Verein, dem sich die Seniorinnen angehörig fühlen, ein Anliegen vertrete, das sie als Richter zu einer Stellungnahme veranlassen müsse. Ideologie löste demnach ihr Urteil aus – nicht eine geschädigte Körperschaft. Obwohl die Richter die Klagen der vier sich als geschädigt bezeichnenden Personen ablehnten, verurteilten sie die Schweiz, weil die vom Verein der Seniorinnen vertretene Idee den Richtern zusagte. Die Verurteilung erfolgt, weil die den Richtern zusagende Idee bis heute nicht Eingang in die Bundesverfassung gefunden hat.
Politik und Rechtsprechung
Wenn neue Gesichtspunkte, neue Entwicklungen, neue Ideen Eingang finden sollen ins Recht eines Staates, so zeigt die Verfassung dieses Staates – in der Schweiz die Schweizerische Bundesverfassung – Mittel und Wege auf, die zu nutzen sind, bis eine neue Idee Staatszweck werden kann.
In den meisten Ländern kann eine Neuerung lediglich aufgrund von Anträgen der Regierung oder des Parlaments lanciert werden. In der Schweiz aber haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger – als Souverän in der direkten Demokratie – die uneingeschränkte Möglichkeit, eine neue Idee per Volksinitiative und Volksabstimmung in der Bundesverfassung zu verankern.
Das mag, denkt man ans Unterschriftensammeln, allenfalls etwas mühsam sein. Und oft sind mehrere Anläufe erforderlich, bis wenigstens aus Teilen des Anliegens ein breit akzeptierter Konsens entsteht, so dass die Mehrheit der Stimmbürger eine entsprechende Verfassungs-Ergänzung Tatsache werden lassen kann.
Niemand kann hierzulande aber behaupten, ihm werde das Recht beschnitten, diesen politischen Weg zu beschreiten, um seinem Anliegen schliesslich Verfassungscharakter verleihen zu können. Ein Weg, dem der Souverän allerdings auch ein Nein entgegensetzen kann.
Elite-Juristen
Einige besondere Juristen scheinen diesen etwas schwierigen Weg nicht besonders zu schätzen. Sie fühlen sich, wie das Strassburger Urteil zeigt, als Elite berufen, eine Verfassungsänderung rascher, unter Umgehung des Souveräns, in die Verfassung zu bringen. Ihnen als Elite, so glauben sie, stehe es offen, diesen direkteren Weg am Souverän vorbei zu beschreiten.
Die Strassburger Richter, die solcher Idee huldigen, wollen natürlich nicht wahrhaben, dass damit die Gewaltentrennung – untrennbarer Bestandteil jeder echten Demokratie – zunichte gemacht wird. Ihnen als Elite stünde das zu, meinen sie. Als Elite seien sie nicht gefährdet, irgend welcher Willkür zu verfallen. So beteuern sie unentwegt.
Botschafter Daniel Wokers Kriegserklärung an die Neutralität
Und dann gibt es noch einen ehemaligen Botschafter, abgrundtiefer Gegner Christoph Blochers, der derzeit auftritt mit der Behauptung, geltendes Uno-Recht – genauer: der Uno-Artikel zum Gewaltverbot – habe die Neutralität der Schweiz, ohne dass hierzulande jemand dazu hätte Stellung nehmen können, ins Reich längst überholter Vergangenheit verwiesen. Seit das Gewaltverbot seitens der Uno existiere, sei Neutralität unmöglich.
Zunächst: Jeder einzelne Mensch kann leicht überprüfen, in welchem Umfang das von Theoretikern erfundene, von der Uno feierlich ausgerufene Gewaltverbot Wirklichkeit geworden ist. Konflikte, kriegerische Auseinandersetzungen dauern an, ungeachtet des Uno-Gewaltverbots.
Anders in der Schweiz, wo Neutralität tief verankert ist im Denken und Handeln der Bevölkerung. Man hat im Namen der immerwährenden, bewaffneten Neutralität zwar eine starke Armee geschaffen. Diese darf aber allein für die Verteidigung des eigenen Landes eingesetzt werden. Weil die Schweiz neutral ist, also keinem Bündnis unterstellt wurde, das im Namen angeblicher Verteidigung auch Angriffshandlungen auslösen kann, leistet die Schweiz mit ihrer bewaffneten Neutralität einen echten Dienst an friedliche Verhältnisse auf dieser Welt.
Mit dieser Form allein legitimierter Verteidigung wird das Prinzip der immerwährenden, bewaffneten Neutralität der Absage an Gewalt weit wirkungsvoller gerecht als die Uno mit noch so wohlklingend formulierten Absichtserklärungen.
Allerdings beinhaltet echte Neutralität auch eine Absage an EU- und Uno-Bewunderer. Die Neutralität verurteilt Politiker und Staatsfunktionäre zum Stillesitzen, zum Abseitsstehen, wenn Kriegsherren glanzvolle Konferenzen inszenieren. Das wurmt all die, die es auf solche Bühnen drängt – offensichtlich auch Ex-Botschafter Daniel Woker. Aber solches Verhalten trägt weit mehr zum Frieden auf dieser Welt bei als all die inszenierten, glanzvollen Konferenzen – inklusive das unsere Neutralität verletzende Bürgenstock-Happening.
Die Neutralität bewahrt uns vor jener Willkür, die dort Tatsache wird, wo Publizitätssüchtige sich selbst als gleicher erachten als die der Gleichheit Aller verpflichteten Bürgerinnen und Bürger.