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Wann gehen in der Schweiz die Lichter aus?

Für den drohenden Ausfall der Importe von Erdgas, Erdöl und Winterstrom aus der EU hat die Schweiz keine Rezepte. Sie steuert auf eine gefährliche Energie-Mangellage zu – schlimmstenfalls auf einen «Blackout», der Wirtschaft und Gesellschaft ins Mark treffen kann.

von Armin Menzi, Publizist, Buchautor und Filmproduzent mit Spezialgebiet Energie, Frauenfeld TG

Um eine ökonomische und gesellschaftliche Katastrophe abzuwenden, sind nach Meinung der bürgerlichen Politiker neue Strukturen zu schaffen, die unter Notrecht ihre Wirkung entfalten. Gleichzeitig muss die bisherige

Energie- und Umweltpolitik wegen der drohen- den Notlage einem «Moratorium» unterzogen werden. Im Morgengrauen des 11. Mai hat die Ukraine die Durchleitung von russischem Gas in den Westen gestoppt. Damit fällt wegen heftiger Kampfhandlungen im Gebiet Luhansk fast ein Drittel der nach Europa transportierten Menge aus. Schon eine Woche zuvor hat der russische Versorger Gazprom seine Lieferungen an Polen eingestellt. Wegen der Solidaritätspflicht unter den EU-Staaten dürften die Polen künftig aus dem Westen – namentlich aus Deutschland – mit Gas beliefert werden. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Mitte Mai hat der Kreml ein Exportverbot von Gazprom an seine inzwischen von Deutschland verstaatlichten Töchter «Gazprom Germania» – inklusive «Gazprom Trading Ldt.» Verfügt.

Wenn aber Erdgas und absehbar auch Erdöl aus Russland ausbleiben, drohen auch in der Schweiz die Lichter auszugehen: Allein Deutschland produziert mehr als vierzig Prozent des Stroms aus Erdgas. Fällt dieses weg, werden nicht nur die Gas-, sondern auch ein Grossteil der Winter- strom-Exporte aus der EU in die Schweiz entfallen. Sie sind schon mit dem Scheitern des Rahmenvertrags zwischen der Schweiz und der EU komplizierter geworden.

Weder Strategien noch Konzepte

Doch die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung unternehmen alles, um den Eindruck zu erwecken, dass sie die Energiekrise im Griff hätten. Ehemalige und amtierende Bundesrätinnen behaupten im Chor einiger Experten, dass die Schweiz für einen Ausfall von russischem Gas gewappnet sei. Solches dürfte bald von Tatsachen widerlegt werden.

Inzwischen hat die Landesregierung die heisse Kartoffel einer Energie-Notlage an das Amt für «Wirtschaftliche Landesversorgung» im Departement von Guy Parmelin weitergereicht. Seitdem brüten auch dort verschiedene Task-Forces über dem Problem. Mit der Versorgungssicherheit für den Strom befasst sich die «Organisation für die sichere Landesversorgung mit Strom» (Ostral). Sie steht unter der Verantwortung des «Verbands Schweizer Elektrizitäts- unternehmen» (VSE). Den gleichen Auftrag nimmt beim Erdgas der «Verband der Schweizer Gaswirtschaft» (VSG) wahr. Und eine allfällige Erdöl-Krise soll durch die bestehenden Pflichtlager per Bundesatsbeschluss wenigstens um ein paar Monate hinausgeschoben werden.

Energiewende und Klimaabkommen kurzzeitig auf Eis legen

Die Realität holt derzeit viele Gutgläubige ein: Die «Energiewende» und das Pariser Klimaabkommen müssen am Vorabend einer existenziellen Bedrohung durch einen Energie-Blackout zurückgestellt werden. So gesehen ist auch die «Energiestrategie 2050» des Bundesrates arg Schieflage geraten. Nicht nur SVP-, sondern sogar «Mitte»-Parlamentarier plädieren inzwischen offen für einen «Stresstest» der bestehenden Energiestrategie.

«Force Majeur» steht über allem

Derweil wird an runden Tischen darüber gerätselt, wie die Schweiz in Zukunft ans Erdgas und an den Strom aus dem benachbarten EU-Raum kommen wird. Denn die Ausgangslage ist durchaus knifflig: Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens gilt die Schweiz für den EU-Wirtschaftsraum als Exportnation. Gleichzeitig verpflichtet die EU ihre 27 Mitgliedsstaaten zur Solidarität untereinander und legt damit eine klare «Force Majeur» fest. Sie regelt die staatliche Verfügungsgewalt über alle bestehenden Verträge hinweg – auch zwischen Wirtschaftsunternehmen. Ob damit der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich für die Erdgas-Reservespeicher vollzogen werden könnte, müssten wohl ebenfalls die Gerichte entscheiden. Die Frage ist nur, welche.

Davon unbeeindruckt treiben Beamte der Schweizer Bundesverwaltung bereits die Ausschreibung von Gaskraftwerken voran, obschon unsicher ist, dass die Schweiz aus der benachbarten EU überhaupt noch Gas erhielte. Die Solidaritätspflicht innerhalb der «EU27» sieht beim Wegfall russischer Erdgaslieferungen bestenfalls noch einen Bruchteil der bisherigen Exportmengen für Staaten ausserhalb der EU vor. Dass es rechtzeitig gelingt, selber ausreichende Mengen an Flüssiggas zu beschaffen, ist nahezu auszuschliessen. Der deutsche Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck wie auch der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer erhielten bei ihren Trips nach Katar klare Absagen für zusätzliche Mengen an Flüssiggas, und auch der Erfolg von Simonetta Sommarugas Ausflug nach Holland war bestenfalls überschaubar. Schon eher bemerkenswert mutet Robert Habecks Grundsteinlegung für den ersten Flüssiggas-Terminal an der Nordseeküste an – und fast gleichzeitig die zielstrebige Verabschiedung einer Gesetzesnovelle im Deutschen Kabinett. Sie erlaubt unausgesprochen im Zuschnitt eines Notrechts das Durchregieren der Bundesregierung in Energiefragen. Derzeit rauchen bei den deutschen Umweltorganisationen noch die Köpfe, vor welchem Gericht sie gegen den Flüssig- gas-Terminal Beschwerde einlegen könnten.

Kein Konzept gegen die drohende Versorgungskrise

In Notlagen gerät die föderale Schweizer Vernehmlassungs-Demokratie an ihre Grenzen, weil die Zeit für Entscheide drängt. Für die Lösung der aktuellen Probleme muss nach Meinung der bürgerlichen Politiker als erstes eine klare, «unideologische» Lagebeurteilung getroffen werden. Ihr müssen konkrete Massnahmen für den Ersatz wegbrechender importierter Energieträger sowie neue Strategien für die künftige Landesversorgung mit Strom, Erdgas und Erdöl folgen. Der von der SVP an ihrer Klausurtagung in Horn TG ins Spiel gebrachte «Strom-General» wird vor diesem Hintergrund zweifellos zum «Energie-General» befördert werden müssen und verfassungsmässig verankerte Kompetenzen erhalten, um die Schweiz aus einer Energie-Notlage herausführen zu können.

Es braucht es jede Kilowattstunde

Die Zeit drängt: Anstelle aufreibender Leserbriefdebatten über ein paar Windräder, dem Rückbau der Gasnetze in den Städten und der unbeirrt weitergetriebenen Solar-, Klima- und Langsamverkehrs-Debatte muss die sorgsam gehätschelte Energiepolitik unserer Komfortnation rasch einen Marschhalt einlegen. Es geht um jede Kilowattstunde Strom und jeden Kubikmeter Gas, der unsere Wirtschaft und die Gesellschaft am Funktionieren hält. Für die Lösung des Problems braucht es also alle – die Wasserkraft, die Kernenergie, das Erdgas samt Biogas, Solarstrom und Windenergie – und in Zukunft noch beherzter auch die Nutzung von Biomasse und Holz.

Ein «Blackout» des Energiesystems wäre vor allem auch finanziell fatal. Im Umkreis der deutschen Wirtschaftsweisen steht mit Blick auf die Schweiz derzeit eine Zahl im Raum: 4,5 Milliarden Franken – pro Tag. Verbleiben also nur noch zwei Fragen. Die erste zu den neuen Prioritäten. Und die zweite: Wer bezahlt das Ganze? Wetten, dass es der Steuerzahler sein wird?!

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Publiziert von Schweizerzeit

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