in

Wenn Bürokratie gegen Bürokratie kämpft – Über den Zwang zum Fortschmeissen

Der Radiosprecher verkündet es mit unheilschwangerer Stimme: Ein voller Drittel der in der Schweiz in den Handel kommenden Lebensmittel würden hierzulande fortgeschmissen. Welch ein Skandal! Welche Sünde!  

Doch flugs weiss der Radiosprecher zu verkünden, dass Bundesbern eingreifen werde: Das Departement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga werde demnächst einen Aktionsplan vorlegen, der das Fortschmeissen von Lebensmitteln innert Kürze auf die Hälfte reduzieren werde.

Dass es Massnahmen eventuell anderer, allenfalls sogar der gleichen Bundesberner Funktionärsabteilung sind, die derzeit das Ausmass der Vernichtung absolut geniessbarer Lebensmittel explosionsartig in die Höhe treiben, darauf ist der das Programm Sommaruga preisende Radiomann offensichtlich nicht aufmerksam geworden.  

Früher

Es gab eine Zeit, da der prüfende Blick der einkaufenden Hausfrau (allein schon der Gebrauch dieser Bezeichnung dürfte uns nur allzubald als «Straftat» angelastet werden) rasch feststellte, ob ausliegende Ware frisch oder alt sei. Ihre Musterung der Produkte entschied über ihren Einkauf. Und es gab damals keinerlei Ladenbesitzer oder Filialleiter, die sich ihre Kundschaft mit dem Verkauf von Gammelware glaubten erhalten zu können.

Aber auf den Verstand selbst denkender und eigenständig handelnder Personen darf heute niemand mehr bauen. Es sind Funktionäre, die alles viel besser wissen als biedere Hausfrauen und geschäftstüchtige Ladenbesitzer. Ihre damals von ihrem gesunden Menschenverstand ausgehende Entscheidung, was mit nicht mehr ganz frischer Ware zu geschehen habe, interessiert Funktionäre grundsätzlich nicht.   

Befehlsgewalt verdrängt Verstand

Gerade auf dem Land, wo man Kunden und ihre Familienverhältnisse persönlich kannte, resultierten aus knapp abgelaufenen Verkaufsfristen – sofern solche überhaupt angegeben waren – zumeist telefonische Benachrichtigungen. Zum Beispiel an kinderreiche, aber nicht unbedingt auf Rosen gebettete Familien. Diese erhielten vom örtlichen Lebensmittelgeschäft, von der örtlichen Bäckerei die Nachricht, unverkaufte, aber absolut noch geniessbare Ware werde billig, allenfalls gar kostenlos abgegeben. Dankbarkeit der Angerufenen und wertvolle Nutzung von «Resten» charakterisierten das Resultat solch vernünftigen und zugleich menschlichen Handelns.

Der Vater einer Familie mit mehr als zehn Kindern erzählte einmal am Fernsehen, die Chefin der örtlichen Coop-Filiale böte seiner Familie vom Verkaufsdatum her abgelaufene Lebensmittel regelmässig an – stark vergünstigt, nicht selten auch kostenlos. Er selbst, seine Frau, seine Kinder seien äusserst froh und dankbar dafür. Schaden hat darob nie irgendwer genommen.

Verbot verdrängt Vernunft   

Solch gute Tat zugunsten nicht im Überfluss lebender grosser Familien ist heute allerdings verboten. Die Obrigkeit hat zugeschlagen: Ware, deren Verkaufsfrist vielleicht auch nur um einen einzigen Tag überschritten worden ist, die noch absolut geniessbar ist, muss heutzutage lückenlos und radikal vernichtet, in den Abfall geschmissen werden. Funktionäre des Staates befehlen und überwachen das – mit der Konsequenz sich laufend vergrössernden Personalbedarfs im Funktionärsladen der Datenüberprüfer.

Und jetzt ruft Frau Sommaruga, über traditionelles Einkaufsverhalten in ihrer abgehobenen Position in Bundesbern offenbar überhaupt nicht im Bild, eine neue Bürokratie zusammen. Sie soll verhindern, dass Lebensmittel, deren Vernichtung von einer Bundesbürokratie befohlen und überwacht wird, nicht mehr vernichtet werden kann. Bürokratie arbeitet gegen Bürokratie. Welch Eldorado für Funktionäre!  

Das Resultat ist voraussehbar: Ein anderes Departement dürfte irgend einmal den Widerspruch entdecken, den solch bürokratische Tätigkeit und Gegentätigkeit bewirkt. Und flugs wird das den Widerspruch aufdeckende Departement einen Aufruf lancieren: Es sei eine «Expertenkommission» ins Leben zu rufen, die einen Bericht zu erarbeiten habe, wie Widersprüche, die gegeneinander arbeitende Bürokratien produzieren, in mittelfristiger Zukunft ausgemerzt (oder «optimiert») werden könnten.

Die Leistungsträger zahlen’s

Der Optimierungsanspruch dürfte derart hochgeschraubt werden, dass schliesslich noch eine vierte und dann auch noch eine fünfte Bürokratie zwecks Offenlegung und Beseitigung von Widersprüchen geschaffen werden muss. Wobei diese auch zur Feststellung kommen könnten, dass sich Widersprüche diskussionsanregend – bereichernd auf das Wirtschaftsleben auswirken könnten…

Klar wird dabei nur eines: Geschröpft zur Ermöglichung solchen Umgangs mit Widersprüchen werden die Steuerzahler, die immer rarer werdenden Leistungsträger im Land.  

Avatar photo

Publiziert von Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer ist Historiker, Verleger und alt Nationalrat des Kantons Zürich. 1979 gründete Dr. Ulrich Schlüer die «Schweizerzeit», welche als bürgerlich-konservatives Magazin für Unabhängigkeit, Föderalismus und Freiheit bis heute erfolgreich seine Leserschaft bedient.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

10 Kommentare

  1. ganz Ihrer Meinung. Ich geb. 1943, ersticke fast in der Papier- und Vorschriftenflut nach dem Tod meines Mannes vor einem Jahr. So vieles ginge einfacher!
    D.Kuhn, Bubikon

  2. In der Filiale eines Grossverteilers sah ich kürzlich das letzte vorhandene Stück meines Lieblingskäses. Das Verbrauchsdatum war einen Tag «darüber». Ich fragte nach, ob ich dieses (letzte vorhandene) Stück trotzdem zu einem reduzierten Preis kaufen dürfe. Die Antwort war «nein». Man dürfe diesen Käse auch zu einem reduzierten Preis nicht mehr abgeben, man müsse ihn wegwerfen, er könne «verdorben» sein…..ich musste ohne den heissersehnten Schimmelkäse weggehen! Amtsschimmel(käse)???

  3. Ein Artikel von U. Schlüer, dem auch Grün- und Rotlinke zustimmen könnten. Wäre da nicht das fehlende Gendern: Die Radiomachenden, die Hausfrauenden (Familie Umsorgenden), die Ladenbesitzenden, die Filialleitenden, die Funktionierenden (Funktionäre), die Hoden Habenden (Väter), die Eierstöcke Habenden (Frauen), die Expertierendenkommission, die Steuerzahlenden, die Leistungstragenden.

  4. Lieber Herr Dr. Schlüer
    Und die Restaurants durften die Essensreste dem Bauern für die Schweine Fütterung übergeben. Das ist auch schon lange Geschichte!
    Mit freundlichen Grüßen
    Cornelia Allemann

  5. Auch die verteufelung von Plastik (-Verpackungen) lässt Nahrung schneller verderben.
    Ausserdem haben die Funktionäre in Bern gar keine Ahnung was die Lebensmittelherstellung betrifft. Durch wegschmeissen schadet man dem eigenen Portmonnaie, aber nicht dem Angebot an Lebensmitteln weltweit.
    Trotzdem schmeisse ich praktisch nie was weg. Man muss halt Haushalten können. In Bern ein Fremdwort.

  6. Ich staune oft wenn ich in den Coop gehe:
    diese Auswahl an gesunden und frischen Früchten und jede Saison die bio Kartoffeln – usw 🍋🍊🍐🍎🥕🥬🥦🥔🥔🥔🥔🥔🥔
    ich kaufe nur die bio Milch weil ich weiss: diese Kühe 🐄 erhalten keine Hormone usw-
    Die Konsumenten bestimmen welche Nahrungsmittel angebaut werden – 🤔 ich beeinflusse die Tierhaltung-

    Weil diese Produkte teuer sind werfe ich selten etwas weg –
    Einkaufen 🛒 mit Verstand und die guten Nahrungsmittel geniessen 👍
    Das kann jeder – oder nicht ?

    Wenn die Politiker „ herumwursteln „ ist das ihr Problem 🤔

  7. Ist dann dieser Frau noch zu helfen?
    Wenn ich die Kommentare lese, müsste doch eine Initiative von der SVP quer Beet Zuspruch finden. Nahe bei der Bevölkerung!
    Habe ich überlesen wer für den zusätzlichen Verlust aufkommt? Kann man diesen auf Formular 787.25.366 B täglich mit 3 Kopien an das Departement Somaruga senden ?

  8. 30 % der Lebensmittel werden angeblich fortgeschmissen?
    Da fragt man sich, wie diese Zahl zustande kommt und was da alles dazugerechnet wird?
    Wird Zb. zwischen unvermeidlichem und ,,mutwilligem» wegschmeissen unterschieden?
    Die Verarbeiter der Agrargüter pressen erwiesenermassen, das letzte aus den Rohstoffen.
    Auch die Lebensmittelverteiler sind aus wirtschaftlichen Gründen gezielt bestrebt möglichst wenig Verderben zulassen, und haben die Logistik erheblich verbessert.
    Ob der Konsument sooooo viel wegschmeisst, wie behauptet ist auch nicht sooooo gesichert.
    Zur Erinnerung:
    Bis vor wenigen Jahren wurde das mit dem Biotreibstoff propagiert in der EU wurden Zwangsbeimischungen zu Erdölbasierten vorgeschrieben.
    Der Hype dauerte rund 20 Jahre. Genau sooooo lange brauchten die Grün— Ideologen‚ um zu schnellen, das für die Biospritproduktion hochwertige Agrargüter draufgehen.
    Darum nicht ALLES was aus dieser Ecke kommt für bare Münze nehmen.

  9. Man kann ja hinblicken wo man will, die unsägliche Bürokratisierung querbeet frisst den Bürgern in allen Berufen die Zeit auf, produziert groteske Absurditäten und bindet enorme Kräfte. Aber sie schafft offensichtlich massenhaft kreative Arbeitsplätze für hochintelligente Leute in den Verwaltungen. Denn es braucht doch ziemlich «Grips» im Kopf, um so absurden Schwachsinn zu erfinden, auf den normalintelligente Leute nie kämen… Vielleicht wird es sich bessern, wenn die Produktion von Waren wieder in europäische Länder zurückgenommen wird, wie es hoffentlich nun geschehen wird. Dann können die gut ausgebildeten jungen Leute endlich wieder in produktiven Berufen tätig werden.

EU-Film-Diktat? Nicht mit uns!

Giacometti-Initiative – «Autoritärer Staat mit totalitären Tendenzen»