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Der Müller, sein Sohn und der Esel

Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann

Jean de La Fontaine (1621–1695), der französische Meister der Fabel, hat auch die altgriechische Geschichte vom Müller, seinem Sohn und seinem Esel in wunderbarer Weise nachgedichtet.

Der greise Müller und sein halbwüchsiger Sohn gingen auf den Markt, um ihren Esel zu verkaufen. Um ihn frisch und preiswürdig aussehen zu lassen, trugen sie ihn mit gebundenen Beinen an einem Stock.

Die Fabel

Unterwegs begegneten ihnen viele Menschen. Der erste lachte die beiden aus. Der Müller sah den Fehler ein und liess den Esel auf eigenen Beinen gehen. Der Esel schrie auf, der Müller erhörte ihn nicht und liess seinen Sohn aufsteigen. Zwei Wandersleute ärgerten sich und fanden, der greise Vater sollte statt des Jungen reiten. Was geschah.

Als nächste reklamierten drei Mädchen, der Junge müsse zu Fuss schwitzen und der alte Tropf sässe wie ein Bischof auf einem hohen Ross. Nach einem Wortgefecht gab der Müller nach und der Junge stieg auch noch auf den Esel. Kaum oben, kam ein dritter Trupp von Wegelagerern; die verspotteten die beiden für die Tierquälerei und beschimpften auch den Esel als «abgetriebne Mähre». Beide stiegen ab, der Esel ging vorab in stolzem Trab.

Da kam wieder einer daher und verlachte den Alten für das Schonen des Grauen.

Die Moral von der Geschichte

Die Geschichte, nachgedichtet vom deutschen Übersetzer und Satiriker Ernst Dohm (1819 – 1883), schliesst mit folgenden Worten des Müllers:

«Ha, verdammt!

Ich bin ein Esel, ja, ich will es nur gestehen!

Allein von jetzt ab wird das anders – Ihr sollt sehen:

Wie auch die Welt von mir dann red’, ob gut, ob schlecht,

Ich tu’ nach meinem Kopf!« Er tat’s, und er tat recht.

Heute sagen wir prosaisch: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Die Kommentare der vielen Wegelagerer unseres Weges machen uns keine Sorgen und keinen Ärger. Wer es immer allen recht machen will, macht es sicher fast immer falsch. Wie der Müller: «Tun’s wir nach unserm Kopf.».

Allerdings, die Versuchung, es allen recht zu tun, ist heute gross wie selten zuvor. Alle drängen uns: Politiker, die Medien und viele Gutmenschen und Besserwisser. Beispiele dazu gibt es viele, drei seien hier genannt.

Die Zollkatastrophe

Das jüngste Beispiel betrifft den Schlag, den US-Präsident Trump am 1. August der Schweizer Wirtschaft verpasst hat mit dem Zoll von 39%. (Fast) alle Medien und Experten schrien Mordio, forderten Annäherung an die EU, Kurzarbeit, beschimpften die Bundespräsidentin Keller-Sutter. Sollten wir auch? Nein, sollten wir nicht.

Die Preise an den Finanzmärkten geben die besten Signale für die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Ereignisse. Viele prognostizierten einen Einbruch an den Schweizer Börsen. Nichts passierte. Selbst beim SPI-Index, der fast die ganze Schweizer Wirtschaft (soweit börsenkotiert) abbildet, gab es keinen Einbruch. Im Gegenteil: Der Index steht heute leicht höher als am Vortag der «Katastrophe». Konrad Hummler sagte kürzlich in der NZZ am Sonntag: «Die grösseren Firmen […] haben die Risiken besser im Griff, als wir denken».

Auch der Wechselkurs des Schweizerfrankens und die Zinssätze senden keine negativen Signale. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Die Neutralität

Viele sagen: Angesichts der politischen und militärischen Lage in Europa und angesichts der neuen Prioritäten der USA müsse die Schweiz ihre Neutralitätspolitik überdenken. Eigentlich haben das der Bundesrat und die grossen Medien bereits getan. Sie liegen falsch.

Wir müssen auch hier nicht allen recht tun, sondern für die Schweiz schauen. Die Neutralität wirkt innenpolitisch integrierend und festigt das friedliche Zusammenleben. Die bewaffnete und immerwährende Neutralität bewahrt unsere aussenpolitische Unabhängigkeit, erleichtert den globalen Freihandel, ermöglicht der Schweiz, in Konflikten diplomatische Dienstleistungen anzubieten.

Engere Bindung an die EU

Vor einer Woche schrieb Eric Gujer, Chefredaktor der NZZ, eine «enge Zusammenarbeit mit der EU sei eine Rückversicherung in einer unberechenbaren Welt». Als Begründung diente ihm das «Debakel mit Trump». Ob dieses Debakel stattfinden, und ob es eher die EU oder die Schweiz treffen wird, ist heute offen. Dazu nochmals Konrad Hummler: Der Deal zwischen Trump und der EU «wird keinen Bestand haben. […] Er ist nur eine Episode bis zur nächsten Eskalation».

Wie immer auch das «Debakel» enden wird, die Schweiz tritt der EU nicht bei. Sie will kein politisches Diktat von aussen. Sie braucht keinen vertieften Zugang zum Binnenmarkt, der nach wohl begründeter Meinung von Konrad Hummler «in dieser Form gar nicht existiert». «Wenn der Binnenmarkt eine Chimäre ist, dann ist es der Zugang auch.»

Zum Schluss

Wir halten es mit dem geläuterten Müller: «Wie auch die Welt von uns dann red’, ob gut, ob schlecht, wir tun’s nach unserm Kopf!»

Das Bild zur Fabel stammt vom grossen Schweizer Maler Ferdinand Hodler (1853 – 1918). Es hängt im Privatmuseum von Christoph und Silvia Blocher.

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Publiziert von Hans Geiger

Hans Geiger ist em. Professor für Bankwesen, wohnhaft in Weiningen ZH.

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4 Kommentare

  1. Verhandler nicht kritisieren: richtig. Mit einer diplomatisch versierten US-Administration hätten die Verhandlung “normal” stattgefunden und hätte ein faires Abkommen gebracht.
    Hummler zitieren: gewagt! Dieser Mann hat in seinen früheren Vorträgen das Bankgeheimnis als geniale Lösung für Steuerhinterzieher und -betrüger landauf landab verkauft und ist mit seiner Bank Wegelin bös auf die Schnauze gefallen. Wieviel er wirklich von Wirtschaft versteht ist zweifelhaft.

  2. Der arme , geplagte Esel tut mir leid 🥲
    Alle hocken auf ihn drauf – steigen wieder ab 🆎
    Es wurde ihm sicher ganz schwindlig !

    Die Schweiz 🇨🇭 ist kein solcher Esel !

    Ich will nicht , dass Alle in unsere Heimat
    reinhocken dürfen ! 🧐

    Warum verkaufen wir immer mehr Land an ausländische Investoren?
    ( Money Money Money 💵💰💶💷?)
    Die Neutralität und die Freiheit sind das Wichtigste –
    Dafür muss sich jeder einsetzen 👍🇨🇭

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