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Rettet unsere Schule!

Heute ist der Tag für eine kritische Würdigung unseres Bildungs- und Schulwesens. Heute, am 17. Januar 2025, steht die Schule vor dem höchsten Schweizer Gericht. Zum Fall der Mädchensekundarschule St. Katharina in Wil SG «Kathi» findet eine öffentliche Beratung statt, was auf die Bedeutung des Themas hinweist.

Vor das Bundesgericht wurde «Kathi» von Politikern der Grünen gezerrt, denen die erfolgreiche Schule zuwider ist: Die Identifikation der Schule mit dem Christentum sei problematisch, die private Trägerschaft sei des Teufels, die Geschlechtertrennung unzumutbar. Am meisten stört die Grünen wohl der Bildungserfolg der Schule. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter hat die «Kathi» absolviert. So war es diese Woche in der NZZ zu lesen. Der damalige Justizminister Kurt Furgler frequentierte in der Stadt St. Gallen die im katholischen Humus verankerte Sekundarschule «Flade».

Das Bildungssystem: Erfolgsfaktor der Schweiz

Das schweizerische Schul- und Bildungssystem ist ein zentraler Erfolgsfaktor der Schweiz, um den uns viele Länder beneiden. Trotz dieses Erfolgs bildet es seit Jahrzehnten ein Tummelfeld und Versuchslabor für unzählige, oft widersinnige Reformen, für die kaum triftige Gründe genannt werden. Reform reiht sich an Reform, um der Reform willen. Im Grundsatz geht es meist um hehre, linke und grüne Wunschträume der Weltverbesserung und um die Durchsetzung der eigenen gesellschaftlichen Utopien.

Das Bildungssystem der Schweiz ist dual, und damit weltweit ziemlich einmalig. Bis vor einigen Jahrzehnten galt auch bei uns, dass ein Schüler am Ende der Mittelstufe im Alter von fünfzehn Jahren vor dem Entscheid stand, «entweder studieren oder arbeiten». Im heutigen dualen System gilt, dass, was auch immer die Jugendlichen im Alter von fünfzehn Jahren entscheiden, nicht ausschliesst, in Zukunft einen anderen Weg einzuschlagen. Wer eine Lehre als Bauzeichner absolviert, kann immer noch an der ETH ein Architekturstudium abschliessen. Wer ein Wirtschaftsstudium mit «summa cum laude» abschliesst, kann immer noch Lokomotivführer werden.

Kauffrau ohne Buchhaltung

Der Reformwahn beschränkt sich nicht auf die Volksschule, er hat auch Berufsfachschulen ergriffen. Dort sollen ab 2026 keine Abschlussprüfungen des allgemeinen Unterrichts mehr stattfinden. Mindestens sind das die Absichten des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation. Die Prüfungen werden durch eine Abschlussarbeit ersetzt, die dann auch gleich von ChatGPT geschrieben werden kann. Immerhin regt sich Widerstand bei Fachleuten, Kantonen und Parteien. FDP-Präsident Thierry Burkart will das Unheil mit einer Motion abwenden. Für ihn ist die geplante Abschaffung der Prüfung «das neuste Kapitel in einer tragischen Serie von gescheiterten Bildungsreformen der letzten zwanzig Jahre». 

Als alter Bankbuchhalter ist für mich die Entwicklung im Fachgebiet Rechnungswesen besonders schmerzhaft: In der neuen KV-Ausbildung werden keine «Fächer» mehr unterrichtet. Der Unterricht findet in den «Handlungskompetenzbereichen» statt. Das Rechnungswesen hat in der Grundbildung nur noch eine untergeordnete Bedeutung. An der Abschlussprüfung soll das Rechnungswesen keine Rolle mehr spielen oder bestenfalls noch eine marginale. Zum beruflichen Weltbild des Kaufmanns (oder der Kauffrau) gehört doch, dass jede Geschäftstransaktion zweimal mit dem gleichen Betrag verbucht werden muss – einmal links, einmal rechts. Man muss dann bloss noch entscheiden, ob die entsprechenden Konten zur Erfolgsrechnung oder zur Bilanz gehören.

Die Volksschule in Gefahr

In den Pisa-Studien der OECD wird die Schulleistung von fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schülern in rund achtzig Ländern im dreijährigen Turnus gemessen, letztmals 2022. Die Resultate der Schweizer Schüler lassen sich zahlenmässig sehen. In Mathematik belegten sie Rang sieben von 81, in den Naturwissenschaften Rang zehn, beim Lesen erreichten sie die Top dreissig. Im Vergleich zu unseren vier grossen Nachbarländern schneiden die Schweizer Schüler besser ab. Im Vergleich zum Jahr 2015 verzeichnen alle drei Bereiche aber Rückgänge, ausgeprägt bei Mathematik und Lesen.

Diese Zahlen scheinen nicht für einen Niedergang zu sprechen, sie sagen aber mehr über die Schwächen anderer Länder als über die Stärken der Schweizer Volksschulen. 2022 war jeder vierte Schüler im Alter von fünfzehn Jahren leseschwach, in Mathematik erreichten knapp zwanzig Prozent der Schüler die von der OECD beschriebenen Mindestkompetenzen nicht. Im Kernbereich Mathematik belegen ausschliesslich asiatische Länder die Spitzenpositionen vor der Schweiz.

Was ist zu tun?

Die aktuelle Aufgabenliste für unsere Schulen umfasst folgende Themen:

  • Der integrative Unterricht ist gescheitert: Handicapierte, lernschwache und verhaltensauffällige Schüler in den Normalklassen führen zu Über- und Unterforderung der Schülerinnen und Schüler wie auch der Lehrer.
  • Schule heisst Lernen und Leisten. Bei vielen politischen Forderungen geht es nicht um eine verbesserte Schulbildung, sondern um tiefere Leistungsanforderungen.
  • Eine Schule ohne Prüfungen und ohne Noten führt zu einem schlechteren Leistungsniveau: Die Qualität sinkt. Vielleicht werden damit alle gleich, gleich schlecht.
  • Der Ruf nach «Kompetenzen statt Wissen» ist falsch. Richtig ist «Kompetent durch Wissen».
  • Am Anfang steht die Konzentration auf das Wesentliche: Rechnen, Lesen, Schreiben. Das Weitere, vor allem gemäss Pisa «Naturwissenschaften», baut darauf auf. Für den grossen Schweizer Pädagogen Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) bestand die Elementarbildung in Sprache, Schreiben, Rechnen, Gesang und Zeichnen. Daraus folgt die Fähigkeit zum abstrakten Urteilsvermögen.
  • Sicher gehört heute auch der Sport zu den Grundaufgaben der Schule.

Lehrerinnen und Lehrer

Entscheidend für den Erfolg der Schule und damit des Landes sind die Lehrerinnen und Lehrer. Ihre Auswahl, Ausbildung und Förderung sind besonders zu pflegen. Von ihnen hängt fast alles ab. Heute sehen sich Lehrer oft als Teil des Teams mit ihren Schülern. Das ist falsch. Sie sollen nicht Begleiter sein, sondern Autoritätspersonen – wie Orchesterdirigenten und Schiffskapitäne. Wenn wir zurückblicken auf unser Leben, erinnern wir uns an die starken und grossen Lehrerinnen und Lehrer, nicht an die netten.

Zur Pflege der Lehrerschaft gehört, dass wir unsere Lehrerinnen und Lehrer von der wachsenden und ausufernden Bürokratie entlasten. Der «Lehrplan 21» des Kantons Zürich für die Volksschule umfasst fünfhundert Seiten. Der Lehrplan sollte die Lehrerinnen und Lehrer nicht von ihren Schülern und ihrem Unterricht fernhalten. Sonst wird er schnell zum «Leerplan».

Heinrich Pestalozzi sah neben der Schule und den Lehrern eine bedeutende Rolle bei der Elementarbildung in der Familie, wo diese Bildung schon vor dem Schuleintritt beginnen müsse. Aber das wäre eine andere Geschichte.

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Publiziert von Hans Geiger

Hans Geiger ist em. Professor für Bankwesen, wohnhaft in Weiningen ZH.

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8 Kommentare

  1. Sie haben Recht: Studieren oder Arbeiten. Was ist aber wenn Arbeiten in einem Wunschland ohne duales System unmöglich erscheint?
    Das Wunschland ist für mich als Fürsorge Ersatz in den Fokus gerückt, da ich aus der Landeskirche ausgetreten bin. Komischerweise hat dieser Schritt tiefe Emotionen wach gerüttelt.

  2. Ich kenne mehrere Leute, die ihre Kinder nicht mehr in die öffentliche, sondern in eine Privatschule schicken. Das Konzept integrative Schule ist völlig gescheitert und die Linken, Grünen und andere Küchentischpsychologen sind mit Ihren endlosen Reformen (grrade die integrative Schule) total gescheitert. Das hat
    einen hohen Preis: Bildungsniveau im Sinkflug.

  3. Für mich ist Begleiter und Autoritätsperson kein Widerspruch. Genauso wenig wie fordern und fördern. Wenn sich Lehrer und Schüler wohl fühlen, kommt es zu den besten Ergebnissen.
    Schulreformen sollten von den Lehrpersonen mit Unterstützung der Behörden gemacht werden. Die Ergebnisse müssten von anderen Schulen getestet werden und erst dann, wenn dies erfolgreich ist (z.B. Pisa Studie) Schritt für Schritt auf andere Schulen übertragen werden.
    Integrativer Unterricht ist meiner Meinung nach bereichernd, wenn weder die Lehrperson, noch die Klasse überfordert wird. Ich könnte Beispiele aufzählen.

  4. Hinter diesem Artikel kann ich voll und ganz stehen. Es gilt noch anzumerken, dass die Lehrpläne von den falschen Personen erstellt werden. Was unterrichtet wird, ist eine politische Entscheidung. Nach Prof. Rolf Dubs (HSG) und Prof. Franz Eberle sollen Lehrpläne nicht ausschliesslich von Pädagogen, sondern auch von Fachleuten aus andern Bereichen und der Politik erarbeitet werden. Die Umsetzung ist dann Aufgabe der Pädagogen.

  5. Der gesellschaftlich dominierenden linksliberal-multikulturell-pluralistischen Elite ist mittlerweile – für alle sichtbar – die Kontrolle über das zunehmende Chaos ihrer Politik entglitten. Unübersehbar ist dies in allen Lebensbereichen, besonders auch in der Schule.

    Die Lösung aus dem Dilemma sieht diese Elite darin, nun alle Fehlentwicklungen und Exzesse zu normalisieren, das heisst, diese der Gesellschaft als das neue Normal zu verkaufen, welches sie gefälligst zu akzeptieren habe.

  6. Genau so ist es – eine absolute Katastrophe im Bildungsbereich – Quo vadis Schweiz? Ich habe folgende Informationen von einer Lehrperson mit Teilpensum bei einer höheren Schule in Chur.
    «Die schriftlichen Prüfungen werden weitgehend mit KI gelöst. Bei den mündlichen Prüfungen sind die Absolventen total am Anschlag und unfähig, korrekte Antworten zu geben. Völlig ungenügend! Trotzdem müsse man diese ‹Unwissenden› durch die Prüfung schleusen, weil ansonsten der Ruf der Schule leide!! Das sind unsere künftigen ‹Führungspersonen / Chefs›. Mir grauet vor der Zukunft der. Gut bin ich schon 80-

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