Der Rekord ging still über die Bühne. Kein Sonderbericht in der Tagesschau, kein Leitartikel in den grossen Tageszeitungen, keine aufgeregte Bundesrätin mit mahnenden Worten. Dabei wäre der Anlass ernst genug gewesen: Am 4. Juli meldete das Bundesamt für Statistik 12’434 Schwangerschaftsabbrüche für das Jahr 2024 – so viele wie nie seit Einführung der Fristenregelung im Jahr 2002. 622 Schweizer Schulklassen wird es 2030/31 nicht geben.
Noch auffälliger als die Zahlen selbst ist das mediale Schweigen darüber. Man hat sich offenbar an diese Zahlen gewöhnt. Und die Abtreibung ist auf neue Weise zu einem gesellschaftlichen Tabu geworden: Wer die Frage stellt, warum denn so viele Kinder nicht geboren werden, läuft Gefahr, als frauenfeindlich und rückwärtsgewandt abgestempelt zu werden.
In einer Gesellschaft, die kaum ein Tabu unberührt lässt, ist das bemerkenswert. Es darf über CO₂-Emissionen, Fleischverzicht, Geschlechterrollen oder Verkehrspolitik gestritten werden – aber nicht darüber, weshalb jedes Jahr über 12’000 Schwangerschaften mit einem Abbruch enden.
Dabei wäre gerade diese Debatte dringend notwendig. Denn Abtreibung ist längst kein Randphänomen mehr. Sie ist ein strukturelles, gesellschaftliches und demographisches Faktum. Und damit – ob man will oder nicht – politisch.
250’000 ungeborene Kinder – ein kultureller Kipppunkt
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden in der Schweiz über 250’000 Kinder abgetrieben – das entspricht der Bevölkerung von Basel plus Luzern, oder von Winterthur, St. Gallen, Thun und Baden zusammen. Diese Zahl ist keine abstrakte Statistik, sondern der Kipppunkt einer Kultur, die das Leben aus dem Blick verliert. Sie steht nicht für Fortschritt, sondern für eine stille Tragödie.
Die oft wiederholte und geglaubte Behauptung, Abtreibung sei Ausdruck weiblicher Autonomie, hält der Wirklichkeit kaum stand. Wer mit betroffenen Frauen spricht, hört selten von Freiheit – sondern von Druck und Überforderung. Viele sagen: «Ich hätte mich gern für mein Kind entschieden – aber ich wusste nicht, wie es gehen soll.»
Was nach aussen selbstbestimmt wirkt, ist oft das Ergebnis verschiedener Zwänge, die sich gegenseitig verstärken: wirtschaftliche Not, familiäre Spannungen, mangelnde Unterstützung oder sogar Ablehnung durch den Partner, soziale Erwartungen und fehlende Alternativen. Eine Abtreibung unter solchen Bedingungen ist nicht Ausdruck von Selbstbestimmung – sondern deren tragisches Gegenteil.
Wenn der Staat Abtreibung auch noch mit Steuergeldern fördert
Ein besonders brisanter Punkt ist wenig bekannt: Der Bund unterstützt mit Steuermitteln ausgerechnet jene Organisationen, die Schwangerschaftsabbrüche institutionell begünstigen und als etwas Positives darstellen. So etwa die «Sexuelle Gesundheit Schweiz», eine zentrale Akteurin in der offiziellen Schweizer Beratungslandschaft. Laut ihrem Jahresbericht 2024 stammen über 60 % ihres Budgets (793’150 Franken von insgesamt 1,27 Millionen) direkt vom Bund.
Die Organisation ist seit 2009 offizielles Schweizer Mitglied der International Planned Parenthood Federation (IPPF) – dem weltweit grössten Abtreibungskonzern. Laut IPPF-Jahresbericht 2023 wurden dort im vergangenen Jahr 5,9 Millionen «abortion-related services» erbracht – ein Zuwachs von 17 % gegenüber dem Vorjahr. (Die Organisation feiert dies als grossen Abtreibungserfolg: «In this challenging context, IPPF delivered 5.9 million abortion-related services in 2023, a significant increase of 17 percent compared to 2022.»)
Und dann wundert man sich, dass in der Schweiz ein Abtreibungsrekord den nächsten jagt?
Es ist höchste Zeit, dass dieses System grundlegend neu gedacht wird. Steuergelder gehören nicht in Netzwerke, die das ungeborene Leben systematisch abwerten – sondern dorthin, wo Schwangere in Not echte Hilfe erhalten.
Mutterschaft braucht Mut – und Unterstützung
Wir brauchen in der Schweiz mehr Beratungsangebote für Schwangere, die das Leben konsequent in den Mittelpunkt stellen. Denn Frauen in Konfliktsituationen finden selten Anlaufstellen, die Mut machen, Perspektiven eröffnen und den Wert des Kindes betonen. Vielerorts dominiert ein pragmatischer, technokratischer Zugang.
Wir brauchen eine Kultur, die Mutterschaft als etwas Positives erkennt: als Beitrag zum Gemeinwohl, als Ausdruck von Stärke, als Teil weiblicher Identität. Stattdessen erleben viele Frauen ein gesellschaftliches Klima, in dem das Kind als Risiko gilt – als Hindernis für Ausbildung, Karriere, Selbstverwirklichung.
Wir brauchen konkrete Massnahmen, die Schwangere aus der Isolation herausholen können. Viele Frauen spüren bei einem positiven Schwangerschaftstest in der Hand erstmal nur den emotionalen, sozialen und wirtschaftlichen Druck: Kann ich eine gute Mutter sein? Wird diese Beziehung halten? Können wir uns das überhaupt leisten? Was werden die Nachbarn sagen? Und oft fehlt ihnen trotz der durchaus vorhandenen Mutterliebe schlicht die Kraft, das Kind gegen alle Widerstände zu bejahen.
Dringender Appell an die Bundesversammlung
Im Juni 2025 wurde die Petition «Keine weiteren Abtreibungsrekorde – Schwangeren in Not helfen» der Bundeskanzlei überreicht – mit über 3’600 Unterzeichnern, darunter auch sieben Nationalräten.
Das Ziel der Petition: Dieses Thema darf nicht länger ignoriert werden – nicht von den Medien, aber auch nicht von der Politik. Jedes Mitglied des National- und Ständerats hat die Petition persönlich erhalten. Kein Parlamentarier soll später noch behaupten können, er habe nichts gewusst.
Einer der parlamentarischen Unterzeichner selbst, Nationalrat Andreas Gafner (EDU), hat nur wenige Tage nach dieser Petitionsübergabe zwei Interpellationen beim Bundesrat eingereicht. In diesen thematisiert er einerseits den Abtreibungsrekord und fragt, was der Bundesrat gegen die steigenden Zahlen unternimmt, andererseits beleuchtet er die demographische Tragweite von über 250’000 Schwangerschaftsabbrüchen seit 2002. Erich Vontobel (EDU) und Lukas Reimann (SVP), die genauso wie Gafner ihre Sitzung in der laufenden Sommersession für die Petitionsübergabe unterbrochen hatten, tragen auch diese beiden Interpellationen mit.
Seit fast zwei Jahrzehnten gab es keine parlamentarischen Anfragen dieser Art. Dass sie jetzt gestellt werden, ist ein politisches Signal – und ein moralischer Prüfstein. Denn eine Gesellschaft, die bei jeder Gelegenheit Nachhaltigkeit, Inklusion und soziale Gerechtigkeit fordert, muss sich auch fragen lassen, warum sie Schwangere in Not allein lässt.
Verspielen wir unsere Zukunft?
Die Schweiz altert – in dramatischem Tempo. Schon heute ist fast jeder fünfte Einwohner über 65 Jahre alt, bis 2050 wird es jeder vierte sein. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich in den kommenden Jahren mehr als verdoppeln. Gleichzeitig schrumpft die Geburtenzahl: 2024 kamen nur 78’256 Kinder zur Welt – fast 1’800 weniger als im Vorjahr.
Diese demographischen Zahlen sind keine abstrakte Statistik – sie sind das Protokoll eines stillen Rückzugs.
Wir leben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt – und gleichzeitig klagen Altersheime über Personalmangel, die Wirtschaft über fehlende Fachkräfte und die AHV über Finanzierungslücken. Doch all diese Probleme haben einen gemeinsamen Nenner: Uns fehlen Kinder. Wer heute keine Geburt fördert, darf sich morgen nicht über den Mangel an Pflegepersonal, Lehrlingen oder Steuerzahlern wundern. Selbst unser bewährtes Milizsystem – von der Feuerwehr bis zur Gemeindepolitik – droht zu erodieren, wenn nicht mehr genügend junge Menschen da sind, die Verantwortung übernehmen. Der demografische Wandel ist kein abstraktes Zukunftsthema mehr. Er ist Realität. Und er beginnt mit jeder Entscheidung gegen ein Kind.
Wenn das Leben nicht mehr willkommen ist, verliert eine Gesellschaft den Boden unter den Füssen. Über 12’000 schweizerische Kinder waren schon da, sie durften nur nicht auf die Welt kommen. In der Betrachtung der demografischen Entwicklung dürfen die Abtreibungszahlen also nicht mehr länger ausklammert werden. Das Schweigen über 12’434 Schwangerschaftsabbrüche ist kein Ausdruck von Toleranz, es ist ein Ausdruck von Gleichgültigkeit. Und die können und dürfen wir uns nicht mehr länger leisten.
Hilfe statt Abtreibung
Die Schweiz braucht keine weiteren «Abtreibungsrekorde». Sie braucht den oben schon beschriebenen kulturellen Wandel im Blick auf Mutterschaft und Familien und ein politisches Hinschauen auf die strukturellen Ursachen so vieler Schwangerschaftsabbrüche. Und sie braucht mehr Hilfe.
Oft heisst es: «Es gibt doch schon Angebote.» Aber diese reichen ganz offensichtlich nicht, sonst hätten wir ja keine sich jedes Jahr steigernde «Abtreibungsrekorde». Es braucht deutlich mehr Anlaufstellen in unserem Land, die Schwangeren in Not genau jene Information, Beratung und konkrete Hilfe bieten, die eine Entscheidung für das Kind überhaupt erst möglich machen. Es braucht mehr «Hilfe statt Abtreibung» – so, wie sie 1000plus Schweiz dank der Grosszügigkeit von Spendern jedes Jahr hundertfach ermöglichen darf.


