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Von Insekten und negativer Beschleunigung

Hinter dem Wort «Bremsen» stecken vielfältige und brisante Themen. In der Biologie geht es um eine Familie von Fliegen, bei denen die Weibchen Blut saugen und die Männchen Blüten besuchen und Nektar sammeln. In der Schweiz nennen wir sie «Brämen». Davon handelt dieser Text nicht.

In der Physik versteht man unter “Bremsen” eine negative Beschleunigung. Davon ist hier die Rede. Im Radsport bezeichnet man mit «Bremsen» ein taktisches Manöver und auch ein technisches Mittel dazu. Davon ist hier auch die Rede.

Bremsen beim Radsport

Velorennfahrer sind, ähnlich wie Politiker, beharrliche Menschen. Es dauerte Jahrzehnte, bis sie andere als kurze weisse Socken anzogen. Auch bei den Bremsen war es ähnlich. Es dauerte Jahre, bis im Radrennsport die effektiveren Scheibenbremsen die traditionellen Felgenbremsen verdrängten.

Die Folgen waren unerwartet: Die Rennen wurden nicht langsamer, sondern schneller, und zwar, weil die Rennfahrer in Abfahrten vor Kurven und im Regen dank der besseren Bremsen viel später auf die Bremsen gehen.

Bremsen bei den Schulden

Die Schweiz ist Pionierin beim Bremsen, beim Bremsen der Staatsschulden. Am 2. Dezember 2001 hat das Schweizervolk mit 85 Prozent Ja-Stimmen die Schuldenbremse beschlossen. Ein solches Resultat zeigt Wirkung. Seither dürfen die Ausgaben des Bundes die Einnahmen über einen Konjunkturzyklus hinweg nicht übersteigen. Der Bund ist verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt zu führen. Damit hat sich die Staatsquote, das Mass für den Anteil der staatlichen Ausgaben am Bruttoinlandprodukt, bei gut dreissig Prozent stabilisiert. In der EU steht die Staatsquote bei knapp fünfzig Prozent.

Ähnlich wie im Radsport sind die Folgen der besseren Bremsen der Schulden in der Schweiz positiv: Die Wirtschaft beschleunigt sich, die privaten Unternehmen und die Konsumenten sind freier und schneller.

Auch sonst sind die Folgen der Schuldenbremse erfreulich. Der Wert des Schweizerfrankens steigt: Bezahlte ein Schweizer 2007 noch Fr. 1.68 für einen Euro, kriegt er ihn heute für 95 Rappen. Kostete ein US-Dollar in den frühen 2000er Jahre noch über Fr. 1.50, gibt es ihn heute für 85 Rappen. Auch bei den Kriterien Inflation, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit schneidet die Schweiz gegenüber der EU und den USA weit besser ab.

Natürlich ist all dies nicht ausschliesslich das Resultat der Schuldenbremse. Für die gute wirtschaftliche Entwicklung ist beispielsweise auch die disziplinierte Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich.

Keine Bremsen bei den Schulden

Von solchen Erfolgen können andere Länder nur träumen, und das freut natürlich deren Politiker, die nun einmal gerne Geld ausgeben, auch wenn sie keines haben. Die Staatsverschuldung in der Schweiz ist heute mit rund vierzig Prozent des Bruttoinlandproduktes immer noch etwa gleich wie 2010 und tiefer als 2001. In der EU sind die Staatsschulden gut doppelt so hoch, in der Eurozone mit über neunzig Prozent noch höher.

Die EU hat im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und im Vertrag von Maastricht zwar Regeln mit ähnlicher Zielsetzung wie die Schweiz erlassen, aber das kümmert die Politiker wirklich nicht. Finanziell überleben EU und Währungsunion nur, weil sie alle eigenen Vorschriften zu Schulden, Defiziten und Geldpolitik nachhaltig und massiv missachten.

Noch schlimmer als in der EU sieht die Entwicklung der Staatsschulden in den USA aus. Dort haben die Staatsschulden seit 2010 von 95 Prozent auf über 120 Prozent des Bruttoinlandproduktes zugenommen, und auch die amerikanische Notenbank finanziert weiterhin in hohem Masse die Defizite der eigenen Regierung. Aber das wäre eine separate, brisante Geschichte.

«Beamtenbremse»

Ist die Schweiz aufgrund der Schuldenbremse der Musterschüler, der unbürokratische und agile Staat in Europa, welcher der privatwirtschaftlichen Wertschöpfung mehr Raum einräumt? Trotz der positiven Resultate ist das nicht der Fall. Die Studien des Forschungsinstituts IWP an der Universität Luzern (https://www.iwp.swiss/loehne-und-beschaeftigung-im-oeffentlichen-sektor-neu-vermessen/) zeigen, dass jeder Einwohner der Schweiz im Durchschnitt rund sechstausend Franken für die Personalkosten der Staatsangestellten bezahlt. Das ist eine beträchtliche Zahl. Sie liegt im europäischen Durchschnitt und ist damit im besten Falle Mittelmass. Allein bei der Bundesverwaltung arbeitet eine Person für 230 Einwohner.

Entgegen der landläufigen Meinung bezahlt der Staat auf allen Verwaltungsebenen höhere Löhne als die Privatwirtschaft. Im Durchschnitt beträgt die Lohnprämie beim Bund 11.6 Prozent, in den Kantonen 4.3 Prozent und in den Gemeinden 3.4 Prozent. Diese Prämien und die Sicherheit der Arbeitsplätze machen den Staat auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zur Privatwirtschaft besonders attraktiv.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es an der Zeit, analog zur Schuldenbremse eine «Beamtenbremse» einzuführen. Auf jeden Fall beim Bund und bei den grossen Kantonen. Zudem ist sicherzustellen, dass die Lohnprämien im öffentlichen Sektor mindestens unter Kontrolle bleiben.

Auch diese neue Bremse wird wie die Scheibenbremse beim Radsport dazu führen, dass der Wettbewerb in der Wirtschaft schneller und effizienter wird. Bei der Beamtenbremse ist allerdings viel politischer Sand im Getriebe.

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Publiziert von Hans Geiger

Hans Geiger ist em. Professor für Bankwesen, wohnhaft in Weiningen ZH.

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