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Unsere Freiheit ist in Gefahr

Leitartikel von alt Bundesrat Ueli Maurer, abgedruckt als Inserat in der NZZ vom 11.01.2025

Dieser Leitartikel von alt Bundesrat Ueli Maurer ist zuerst erschienen in der «Schweizerzeit» vom 20. Dezember 2024. Dank eines Sponsorings erschien dieser bemerkenswerte Text am Samstag, 11. Januar 2025 auch als Inserat in der «Neuen Zürcher Zeitung». Hier können Sie das NZZ-Inserat herunterladen (PDF).

In der Totenrede des Perikles finden wir eine tiefe und berührende Weisheit: «Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.»

Es sind rund 2400 Jahre her, seit Perikles im antiken Athen in seiner Totenrede diesen Ausspruch geprägt haben soll. Unabhängigkeit, Zufriedenheit und Glück setzen Freiheit voraus, und um Freiheit zu erlangen und zu erhalten braucht es Mut. Was einleuchtend und einfach klingt, war und ist wohl die grösste Herausforderung für uns und unser Land.

Der Kampf um die Freiheit hat die Geschichte der Schweiz geprägt: Die Freiheitsschlachten der Eidgenossen in der Gründungszeit, die Mythen und Geschichten um unseren Freiheitshelden Wilhelm Tell, die Auseinandersetzungen um eine liberale, freiheitliche Verfassung bis hin zum Widerstand in den Weltkriegen sind geprägt vom unerschütterlichen Willen für Freiheit und vom Mut, diese Freiheit immer wieder, mit letzter Konsequenz, zu verteidigen. Das war keineswegs gottgegeben, sondern immer wieder die grosse Herausforderung für Generationen vor uns, sowohl im Innern wie auch gegen aussen.

Weichenstellung

Wir stehen auch jetzt wieder vor einer Weichenstellung für unsere Schweiz in einem verunsicherten Europa. Die Frage, die wir beantworten müssen, ist, wie wir unser Verhältnis zur Europäischen Union gestalten wollen.

Dazu ist grundsätzlich festzuhalten, dass die Delegation jedes Entscheides an eine fremde Instanz den Verlust von Freiheit bedeutet.

Das wäre bei einem Rahmenabkommen zum Beispiel in der Frage der Gerichtsbarkeit, der Zuwanderung, der wirtschaftlichen Normensetzung usw. der Fall. Es gibt wieder diese Schiene zur mutlosen Anpassung und Selbstaufgabe, für die Unterwerfung unter ein undemokratisches, bürokratisches Gebilde.

Für all diese Unterwerfungswilligen gilt: Im Zweifel für die Freiheit. Überlegen wir uns doch, welches Geheimnis hinter der einmaligen Erfolgsgeschichte der Schweiz steht. Das Geheimnis dieses Glücks ist die Freiheit, die unser politisches System prägt. Um diese Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben, um die Freiheit zu erhalten, braucht es Mut. Das duckmäuserische Anpassen muss mit einem mutigen, selbstbewussten und trotzdem bescheidenen Auftreten beendet werden.

Es stehen weitere Entscheide an, die unsere Freiheit, selbst zu entscheiden, gefährden. Ich denke an die unselige Annäherung an die Nato und die Liebedienerei gegenüber Brüssel. Die Politik spielt leichtfertig mit der schweizerischen Neutralität, mit einer zentralen Säule unseres Staates.

Die Welt beurteilt diese Neutralität anders als die linken Medien und linke Politiker oder Exponenten in den Regierungen unserer Nachbarn. Wir müssen nicht geliebt, aber respektiert werden. Das Geheimnis unseres Glücks und unseres Erfolgs liegt in der Freiheit, selbst zu entscheiden und keine Knebelverträge einzugehen.

Ich müsste hier auch die ganze Klima- und Coronadebatte anführen. Wir haben uns weitgehend die Freiheit nehmen lassen, selbst zu entscheiden, und sind dumpf und blind mitgewandert. Die Zeche hat nicht die Politik bezahlt. Freiheit braucht Mut, der fehlte uns offensichtlich über weite Teile.

Die persönliche Freiheit

Neben der Freiheit und der Unabhängigkeit des Staates müssen wir auch immer um die persönliche Freiheit kämpfen. Um das Geschenk der Freiheit als Erbe weiterzugeben, braucht es den Mut, für diese Freiheit einzustehen. In unserer woken Gesellschaft lassen wir uns die Freiheit mehr und mehr nehmen. Wir beobachten eine ungute Entwicklung, wir begegnen ihr im Alltag auf Schritt und Tritt. Unsere Sprache wird zur Falle, minutiös wird nach Ausdrücken gesucht, die gestern noch konform waren und heute höchst verdächtig, ja gar strafbar sind. Da wird sofort die Rassismus-Keule geschwungen, ein Nazi-Vergleich angestellt usw. Immer mit dem Ziel, eine politisch unpassende Person oder Gruppierung an den Pranger zu stellen. Diese Wokeness hat den Status von Sekten erhalten. Die Klimadebatte wurde von einem sechzehnjährigen Mädchen in Schweden ausgelöst. Die Medienwelt lag ihr zu Füssen und unterteilte die Bevölkerung in Klima-Leugner und Gläubige. Wie im Mittelalter erfand man einen neuen Ablasshandel: Man kann Busse tun, wenn man bezahlt.

Wir erlebten das Gleiche wieder mit Corona. Wieder musste bedingungslos geglaubt werden, was durch Behörden und Medien verbreitet wurde. Wiederum gab es die Corona-Leugner, die Verschwörer, die Impfgegner, ja die Mörder usw. Der Staat sortierte aus: Gute, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen durften, Böse, die davon ausgeschlossen wurden. Leidtragende waren wie immer die schwächsten Glieder der Gesellschaft, ältere Leute und Kinder. Sie hatten und haben die sozialen Folgen zu tragen.

Immer nehmen uns solch unverhältnismässige Massnahmen einen Teil unserer Freiheit. Eine neue Tendenz verschärft das: Politik und Medien, aber auch Teile der Gesellschaft moralisieren. Sie unterteilen in Gut und Böse. Wer kritische Fragen stellt, wird aussortiert, an den Pranger gestellt.

Aber Achtung: Moral ist nicht das gleiche wie moralisieren. Hier glaubt eine selbsternannte Elite, sie sei moralisch überlegen. Um dem noch mehr Nachachtung zu verschaffen, greift man zum Instrument der sogenannten Experten. Es wird zuerst eine – sehr oft völlig faktenfreie – These verbreitet, und dann findet man vermeintliche Experten, die solche Thesen bestätigen und noch toppen. Jeden Tag ein neues Horrorszenario. Bei genauem Hinschauen entpuppen sich diese sogenannten Experten als ideologische, politische Willfährige. Grün-Links diktiert, Experten nicken ab und linke Medienschaffende applaudieren.

Es wird überwacht

Damit wird die Meinungsfreiheit und Redefreiheit torpediert. Immer weniger getrauen sich unsere Bürgerinnen und Bürger, ihre Meinung offen zu sagen. Sie befürchten Repressionen gegen sich und Angehörige, den Verlust von Job oder Aufträgen. Bei unseren nördlichen Nachbarn ist man schon Schritte voraus. Es gilt ohne Rechtsgrundlage der Kontaktverdacht, es wird überwacht, bis hin zum angedrohten Verbot. Kann man andere Meinungen, zum Beispiel die AfD, die sich Richtung zwanzig Prozent Wähleranteil bewegt, einfach verbieten? Und weshalb? Nur weil sie eine andere Meinung vertritt? Wir nähern uns, wenn wir Richtung Norden blicken, einem totalitären Regime. Wir kannten das damals unter dem Begriff Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR. Eigentlich müsste man mit Blick auf Deutschland von Stasi 2.0 sprechen. Gesinnung und Vorgehen weisen Ähnlichkeiten auf, und dahinter stehen die Leute mit gleicher Grundhaltung. Wehren wir diesen Anfängen bei uns!

Wir sehen, die persönliche Freiheit ist ebenso bedroht wie die Freiheit und Unabhängigkeit des Staates. Das verunsichert, kann unglücklich und depressiv machen.

Erinnern wir uns: Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. Wir haben uns mit aller Kraft gegen diesen kulturellen Wandel zu stemmen. Es geht um eine Entwicklung, die die Gesellschaft verändert. Wenn die Freiheit auf der Strecke bleibt und der Staat in diese Lücke neue Gesetze presst, geht unsere Freiheit vor die Hunde.

In der Schweiz haben wir es in der Hand, Einhalt zu gebieten. Dazu braucht es Mut, Zivilcourage und den unbändigen Willen, diesen politischen und kulturellen Wandel zu stoppen. Im Zweifel für die Freiheit.

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Publiziert von Ueli Maurer

Ueli Maurer (Jahrgang 1950) war vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2022 Mitglied des Bundesrates, zuerst als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) (2009–2015) und anschliessend als Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) (2016–2022) sowie Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2013 und 2019.

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