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Präsidiales Geschwurbel – Mitte – wo bitte?

Was ist aus dem früheren «konservativ», «christlich» «liberal-sozial» geworden? Was soll «Die Mitte» sein? Die Mitte zwischen was und was? Als Erklärung bleibt wohl nur Folgendes: Die Partei schaut jeden Morgen zum Fenster hinaus, prüft, aus welcher Richtung der Wind gerade weht. Dann entscheidet sie sich für die Politik des Tages. Windfahnen sagt man dem. Man kann es auch als Mehrheitsbeschaffung bezeichnen. Oder Zünglein an der Waage.

Vom Winde verweht

Jetzt hat der Parteipräsident Gerhard Pfister diese wenig schmeichelhafte Interpretation bestätigt. Im grossen Interview mit der NZZ vom 21. November 2023 beschreibt er das Verhalten seiner Partei wie folgt: 

«Wir können nicht länger einfach abwarten, welche Forderungen von rechts und links kommen, und uns dann der einen oder anderen Position anschliessen».

Viele Beobachter betrachten «Die Mitte» als bürgerliche Partei – und viele Mitte-Politiker und Wähler auch. Parteipräsident Pfister gehört nicht mehr dazu. Er sagt: 

«Wer von einem ‘bürgerlichen Lager’ spricht, hat ein bipolares Weltbild im Kopf, das mit der politischen Realität, wie wir sie heute in der Schweiz haben, nichts mehr zu tun hat. Es gibt keinen festen ‘Bürgerblock’, der sich geschlossen den linken Parteien entgegenstellt.»

Gegen die SVP

Parteipräsident Pfister behauptet: 

«Ein Grossteil unserer Basis will mit der SVP nichts zu tun haben, aus inhaltlichen Gründen, wegen Fragen wie Anstand und Stil und wegen einer anderen Haltung gegenüber unseren Institutionen». 

Da dürfte Pfister Recht haben. Die Kandidaten der SVP können sicher nicht mit der Unterstützung seiner Parteianhänger rechnen. Wie die Ständeratswahlen in Zürich und anderen Kantonen zeigen, bleiben sie am Wahltag eher zu Hause oder stimmen für die linke Seite. 

Andererseits verdanken viele Mittepolitiker ihre Wahl auch den Stimmen der SVP. Ob die Zürcher SVP-Mitglieder bei den nächsten Regierungsratswahlen wiederum den Namen einer Mittepolitikerin, die «mit der SVP nichts zu tun haben will» auf den Wahlzettel schreiben werden, scheint nicht so sicher.

Die neue Mitte als dritter Pol im Zentrum

Wenn die Zeiten der Windfahnenpolitik vorbei sind, muss «Die Mitte» eine eigene Linie festlegen. Pfister sieht das klar: 

«Wir müssen unsere Positionen selbst definieren und dann dafür Mehrheiten gewinnen. Ich habe immer gesagt, dass wir diesbezüglich einen Kulturwandel brauchen. Das wird die grosse Herausforderung für unsere Partei in der kommenden Legislatur sein». 

Die «grosse Herausforderung» dürfte zutreffen, vor allem auch innerhalb der eigenen Partei.

Gemäss Pfister erleben wir die Herausbildung eines Systems mit drei Polen: Rechts die SVP und die FDP, links die SP und die Grünen, dazwischen ein Zentrum um die Mitte-Partei herum. Und überzeugt sagt er: 

«Tragfähige Lösungen entstehen im politischen Zentrum.»

Allerdings wären die drei Pole gemessen an den Nationalratswahlen von recht unterschiedlichem Gewicht: SVP und FDP: 42 Prozent, SP und Grüne 29 Prozent, das «Zentrum» (Mitte, GLP, EVP) 24 Prozent. Vergleicht man die Profile von Mitte und GLP, dann zeigt sich, dass die Idee eines «Zentrums» eher einem pfisterschen Wunsch als der Realität entspricht. Das Profil der Mitte-Wähler ist gemäss Parteienkompass auf jeden Fall demjenigen der «rechten» FDP näher als seiner umworbenen GLP im neuen «Zentrum».

Einen Anhänger seiner Zentrumsvision hat Gerhard Pfister immerhin: Der altgediente SP-Parteichef Peter Bodenmann schreibt in der Weltwoche vom 23. November: 

«Die CVP muss die Grünliberalen schlucken. Lieber morgen als übermorgen. Sonst werden diese machtpolitisch verdorren.» 

Das scheint doch eher rückwärtsgerichtet: Die CVP gibt es seit drei Jahren nicht mehr.Dissonanzen 

Bevor sich die Mitte-Partei beim Bau des neuen Zentrums mit dem Profil der umworbenen Grünliberalen auseinandersetzen kann, muss sie wohl dem inhaltlichen Zusammenhalt der eigenen Wählerschaft und der eigenen Politiker ihre Aufmerksamkeit schenken. Die mächtige Mitte-Delegation im Ständerat verweigert ihrem Präsidenten des Öfteren die Gefolgschaft: Viele Mitte-Vertreter sehen sich eher im konservativen und bürgerlichen Lager. Und sie fühlen sich stärker ihren Kantonen verbunden als ihrer Parteileitung. 

Auch im Nationalrat gibt es starke bürgerliche Mitte-Vertreter. Allen voran Markus Ritter, der nicht nur eine betont bürgerliche Politik betreibt, sondern als Bauernpräsident auch Chef eines der einflussreichen Wirtschaftsverbände ist. Und dort arbeitet er sehr eng verbunden mit der Partei, mit der laut Pfister «ein Grossteil unserer Basis nichts zu tun haben will».

Markus Ritter geht in der «Schweiz am Sonntag» dezidiert auf Konfrontation mit seinem Parteichef.

Das Profil der Mitte

Gemäss Gerhard Pfister will die Partei neu ihre «Positionen selbst definieren». Die Partei «braucht diesbezüglich einen Kulturwandel». Wir sind gespannt, wie diese Positionen aussehen werden. Leicht macht einem die Partei eine Prognose nicht. Auf ihrer Webseite findet sich kein Parteiprogramm, und dies drei Jahre nach ihrer Geburt. Windfahnen brauchen wohl kein Programm.

Immerhin, in ihren Statuten legt die Partei ihre Stossrichtung fest. In der Präambel steht: «Freiheit. Solidarität. Verantwortung. Wir halten die Schweiz zusammen!» Das tönt doch prima, und jede andere Partei würde das auch unterschreiben. Wer ist schon gegen Freiheit, gegen Solidarität, gegen Verantwortung.

So passt das Profil sowohl für ein «bipolares Weltbild», wie auch für «ein System mit drei Polen».

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Publiziert von Hans Geiger

Hans Geiger ist em. Professor für Bankwesen, wohnhaft in Weiningen ZH.

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9 Kommentare

  1. Die SVP ist die wählerstärkste Partei der Schweiz. Die SVP hat die grösste Anzahl Parlamentarier und Parlamentarierinnen in Bern.
    Aber die SVP hat keine Lösungen zu den anstehenden Problemen und bringt nichts auf den Boden.
    Zwei Drittel der Einwanderer sind Menschen die in der Schweiz einen Job haben, auch in Unternehmen von SVP geführten Inhabern.
    Die SVP sagt es kommen zu viele und die Falschen, kann aber nicht klar benennen, wer denn die Falschen sind. (Siehe Herr Aeschi in der Arena)
    Zur notwendigen Zusammenarbeit mit den umliegenden EU Ländern sagt die SVP einfach nur NEIN, hat aber keine eigenen Ideen und Vorschläge, wie die Verträge zu Strom, Ausbildung, Verkehr, usw. zu gestalten sind.
    Die SVP hat keine Vorschläge gegen den Klimawandel und stellt sich gegen den Fortschritt bei erneuerbarer Energie.
    Zusammenfassend kann festgehalten werden, die SVP hat keine eigenen Ideen zu zukunftsgerichteten Projekten, die uns allen dienen und kann somit nicht eine Staatstragende Partei sein.

    • Ich duze dich mal, lieber Hansjörg, denn da du nur deinen Vornamen nennst, gehe ich davon aus, dass das dein Wunsch und Wille ist.
      Was zukunftsgerichtete Projekte sind, die uns allen dienen, darüber kann man wohl mit gutem Recht verschiedener Meinung sein. Die wirklich notwendige Zusammenarbeit mit der EU funktioniert auf der aktuell bestehenden Basis seit Jahr und Tag als ein gegenseitiges Geben und Nehmen ohne nennenswerte Probleme.
      In den von dir genannten Themenbereichen Strom, Ausbildung, Verkehr braucht es keine neuen Verträge. Bezüglich Verkehr profitiert primär die EU von unseren kostspieligen Investitionen, ohne von ihrer Seite endlich die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Was Ausbildung betrifft: Die mit Abstand besten Hochschulen Kontinentaleuropas stehen in der Schweiz, und an denen studieren momentan gut 56’000 Ausländer, vorwiegend aus der EU, weitgehend auf Kosten der Schweizer Steuerzahler. Beim Strom funktioniert es bestens mit wenigen bilateralen Verträgen, dieser Brei wird nicht besser, wenn die gesamte korrupte Brüsseler Nomenklatura mitrührt.
      Was hast du für taugliche Vorschläge „gegen den Klimawandel“? Wer nicht völlig faktenresistent ist, hat längst begriffen, dass es für die kleine Schweiz absolut nicht möglich ist, in irgend einer Weise Einfluss auf das globale Klima zu nehmen. Was du als „Fortschritt bei erneuerbaren Energien“ bezeichnest, läuft auf eine ineffektive Verschleuderung von Ressourcen und auf eine Verschandelung der Natur hinaus. Diese wurde im Wallis zum Glück von den Grünen gestoppt, während lokale SVP-Politiker bedauerlicherweise grünes Licht gaben für ein Projekt, das vor allem vom SP-Exponenten Bodenmann gepusht wurde.
      Jetzt doch noch kurz zu den Einwanderern. Da das Thema sehr umfassend und komplex ist, nur folgende Fragen: Warum werden ältere Arbeitnehmer zunehmend entlassen und in Arbeitslosigkeit und vorzeitigen Ruhestand gedrängt? Warum stagniert das BIP pro Einwohner trotz florierender Wirtschaft? Warum steigen die Sozialkosten ungebremst an und verschlingen einen immer höheren Anteil an den öffentlichen Ausgaben?
      Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass deine eigenen Ideen, soweit sie in deinen Ausführungen sichtbar werden, wohl letztlich einzig auf das Ziel ausgerichtet sind, das spärlich vorhandene Pulver gegen die SVP zu verschiessen.

  2. Was hier und heute in der Mitte passiert, erinnert mich stark an die FDP. Das seit Jahren fehlende Profil hat dieser Partei auch in den letzten Wahlen viele Stimmen gekostet.
    Bekanntlich sollte man aus Fehlern etwas lernen!

  3. Zitat «keine Vorschläge gegen den Klimawandel»? Als gewöhnliches Partei-Mitglied habe ich einen Vorschlag: Einfach mal ein bisschen Physik studieren und das Klima-Märchen entsorgen. WF dipl. math et phys. Für mehr Info: Werner Furrer, «Klima und Scheinwissenschaft», 2023
    Verlag BOD, ISBN 978-3-7568-4951-2

  4. Guter Beitrag von H. Geiger. In der Tat wäre es langsam an der Zeit für Chef Pfister und seine Mitte, ein Parteiprogramm vorzulegen. Bisher tönt alles von dort recht beliebig. Geradezu schmunzeln muss man wenn man Pfister von Anstand reden hört, den die SVP nicht habe. Da erinnert man sich an die CVP-Verleumdungen bei den Hollenweger-Papieren und an die christliche Intrige gegen Bundesrat Blocher angezettelt vom damaligen CVP-Präsidenten, jetzt Staatsrat im Wallis. Alles sehr anständig und stilvoll.

  5. Das grosse Problem ist letztlich, dass in unserer Schweiz kein übergeordnetes und gemeinsames Bewusstsein mehr besteht, wonach alle in erster Linie dem Land und dessen Zukunft dienen müssen – das was früher Patriotismus hiess (und heute belächelt wird). Der Kampf um Partikularinteressen aller gegen alle in den Parlamenten (und als billige Unterhaltung auch immer wieder zelebriert in der SRF «Arena») wird als «gesunder demokratischer Wettbewerb» verkannt. Die politische Werbung ist zum professionell-manipulativen Marketing degeneriert. Die Ansprüche an «den Staat» wachsen ins Unermessliche bei abnehmender Bereitschaft, zu diesem als Gemeinschaft Sorge zu tragen. Die Bürger werden immer mehr zu Kunden (oder zu Kindern?), die gewohnt sind, umworben, geködert und «versorgt» zu werden, anstatt selber Verantwortung zu übernehmen. Die bürgerlichen Kräfte müssten in erster Linie dafür sorgen, dass die Leute das Erwachsen- und Starksein wieder attraktiv finden. Dauernd als «Opfer» nach vermeintlich mehr «Gerechtigkeit» zu schreien, sollte wieder «uncool» bzw. «cringy» werden. Anspruch und Pflicht müssen wieder ins Gleichgewicht kommen, Leistung wieder stolz machen. Das wäre eigentlich das bürgerliche Programm!

  6. An Hansjörg
    Sie haben hier aufgezählt, was die SVP alles falsch macht, keine Lösungen aufzeigt …
    Dann sind Sie ja mit den Lösungen Ihrer linken Parteien einverstanden, die alles von der SVP aus Prinzip blockieren !?
    Was machen dann Ihre Parteien alles so gut ???
    Verbote nehmen jedes Jahr um ca. 2000 Seiten zu, die meisten gegen die Schweizer Bevölkerung.
    lles wird teurer, weil die SVP bei den Sparübungen blockiert werden. Die SVP kann nichts gut und nichts falsch machen, weil Ihre Parteien alles blockieren, auch wenn es der Bevölkerung nützen würde.
    Lesen Sie mal das Parteiprogramm und gehen Sie mit offenen Augen durch die Politik … dann müssen Sie sich nicht von den Linken als Esel vor den Karten spannen lassen.

  7. Herr Professor Geiger ist zwar im Ruhestand. Ich meine aber, die Mitte könnte sich noch gut und gerne eine Scheibe abschneiden. Herr Geiger sieht es einfach klar.
    Für mich ist schon lange klar: die Bürgerlichen sollten sich nicht gegenseitig bekämpfen. Zusammen links, rot, grün und K….(der Zensur zum Opfer gefallen).

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